Trägerin des Hauptpreises 2019:
Katrin Brack

Träger des Förderpreises 2019:
Manuel Gerst 




Die Verleihung des Hein-Heckroth-Bühnenbildpreises fand am 7. April 2019 im Stadttheater Gießen statt.


begrüssung

Dr. Marcus Kiefer
Vorsitzender der Hein-Heckroth-Gesellschaft

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Verehrte Frau Staatsministerin,

verehrte Frau Oberbürgermeisterin,

verehrte Ehrengäste,

liebe Mitglieder und Freunde der Hein-Heckroth-Gesellschaft,

meine Damen und Herren!

Es ist mir eine große Freude, Sie alle zur neunten Verleihung des Hein-Heckroth-Bühnenbildpreises im Stadttheater Gießen begrüßen zu dürfen. Ein besonders herzlicher Gruß gilt Frau Professor Katrin Brack, die aus Wien angereist ist und der heute die Ehre zuteilwird, mit dem Hauptpreis ausgezeichnet zu werden. Ebenfalls gilt mein besonderer Gruß Herrn Manuel Gerst, der den zugehörigen Förderpreis empfängt.

Wie wichtig der Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis mittlerweile ist, bezeugt die frühzeitige Zusage des höchsten politischen Repräsentanten des Landes Hessen, den Heckroth-Preis an diesem Sonntagvormittag persönlich an Katrin Brack zu überreichen. Dass Herr Ministerpräsident Bouffier heute hier nicht zugegen sein kann, steht in Zusammenhang mit der Erkrankung, über die er die Öffentlichkeit Ende Februar informieren ließ. Ich bin sicher, dass ich in unser aller Namen spreche, wenn ich den Ministerpräsidenten von dieser Stelle herzlich grüße und damit die allerbesten Genesungswünsche verbinde.

Wir bedauern die Absage des Ministerpräsidenten, freuen uns aber gleichzeitig sehr, dass Frau Staatsministerin Dorn, deren Ministerium den Hauptpreis stiftet, sich bereiterklärt hat, den Preis in Vertretung des Ministerpräsidenten zu übergeben. 

Frau Staatsministerin, wir sind Ihnen sehr dankbar, dass Sie diese Feierstunde durch Ihre Gegenwart auszeichnen!

Das Element, das einer Feierstunde wie der heutigen ihren spezifischen Reiz und Wert verleiht, sind die Menschen, die durch sie zusammengeführt werden: die Preisträger, die Festgäste. Aber eine Festversammlung wie die heutige bezieht ihr Fluidum auch durch den architektonischen Raum, der sie umschließt. Da sich die Heckroth-Gesellschaft dem Bühnenbild – und damit einer Raumkunst – verschrieben hat, kann ich als Vorsitzender dieser Gesellschaft den „Spielort“ der heutigen Preisverleihung nicht wortlos übergehen. 

Es gibt, denke ich, kaum eine passendere Umgebung, um Katrin Brack zu ehren, als den Saal, in dem wir heute versammelt sein dürfen. Die spezifische Bühnensituation im Stadttheater Gießen – die besondere Nähe und Konzentration dieses Raumes – scheint nämlich wie geschaffen, um die Bühnenbildnerin Brack zu einem ihrer Luft-, Licht- und Wetterräume zu animieren, die nicht aufgebaut werden müssen und dann dastehen, sondern erst im Verlauf der jeweiligen Aufführung als ein Produkt aus Sehen und Hinzu-Denken in den Köpfen der Zuschauer entstehen. Hierzu wird Till Briegleb in seiner Laudatio sicher Genaueres sagen.

Aus einem zweiten Grund ist das Stadttheater Gießen ein besonders geeigneter Schauplatz für die heutige Ehrung. Unser Theater, 1907 eröffnet, wurde vom selben Wiener Architekturbüro entworfen wie das wirkungsähnliche Theater in Wien, für das Katrin Brack besonders oft Bühnenräume entwickelt hat: das Akademietheater. Erbaut wurde das Akademietheater in den Jahren 1911 bis 1913 von den Architekten Fellner und Helmer, die auf den Bau von Theatern spezialisiert waren. Das Akademietheater ist die intime Zweitbühne des Burgtheaters und eine Art Gegenstück zum Theaterpalast am Ring, der als prunkvolles Logentheater mit überdimensionierter Bühne 1888 fertiggestellt worden war. 

Die erste Produktion, die Katrin Brack als Bühnenbildnerin verantwortet hat, nachdem sie ihre Assistentinnenzeit am Schauspielhaus Bochum beendet hatte, war die Uraufführung des Musik-Stücks „An der Donau“ von Herbert Achternbusch und Heiner Goebbels im Akademietheater in Wien. Das war 1987. 

Und auch die vorläufig letzte Premiere, die Brack als Bühnen- und Kostümbildnerin entscheidend mitgeprägt hat, fand im Akademietheater in Wien statt. Das war vor sechs Wochen. Der szenische Raum für das am 23. Februar uraufgeführte Stück „Zu der Zeit der Königinmutter“ von Fiston Mwanza Mujila konstituiert sich vor allem durch das wiederholte Öffnen verschiedenfarbiger Vorhänge. Der Vorhang gehört zum Theater wie die Luft zum Atmen, aber eine szenische Welt, in der Vorhänge seriell auftreten und hinter Vorhängen immer neue Vorhänge erscheinen, ist die Welt von Katrin Brack – eine Welt, die, so unkonventionell sie ist, vor allem aus konventionellen Theatermaterialien besteht.

Dass wir im Verlauf der heutigen Festmatinee einen Einblick in diese Bühnenwelt erhalten, verdanken wir einer Reihe von Personen und Institutionen. An erster Stelle nenne ich Gero Troike, den Heckroth-Preisträger des Jahres 2017, der Katrin Brack für die heutige Ehrung vorgeschlagen hat. Ich begrüße ihn mit besonderer Herzlichkeit und Dankbarkeit, denn eine glücklichere Nominierung hätte er für den Heckroth-Preis 2019 kaum vornehmen können, erweitert sie doch das Spektrum preiswürdiger Raumkünstler im Theater um eine sehr starke künstlerische Individualität.

Wenn der Heckroth-Preis verliehen wird (zuerst 2003, zuletzt 2017), steht das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst immer ganz oben auf unserer Danksagungsliste. In diesem Jahr ist unsere Dankbarkeit aber besonders groß: Beim früheren hessischen Wissenschaftsminister und jetzigen Landtagspräsidenten Boris Rhein müssen wir uns dafür bedanken, dass er im Dezember 2017 die Erhöhung des Preisgeldes von 5.000 auf 10.000 Euro in Aussicht gestellt hat, und wir danken Ihnen, verehrte Frau Staatsministerin Dorn, sehr herzlich dafür, dass Sie die Zusage Ihres Amtsvorgängers ohne jedes Zögern umgesetzt haben. 

Verdoppelt wurde auch das Preisgeld des Hein-Heckroth-Förderpreises, das die Universitätsstadt Gießen stiftet. Ich darf Frau Oberbürgermeisterin Grabe-Bolz unserer Dankbarkeit versichern: dafür, dass sie der Erhöhung des Preisgeldes von 2.500 auf 5.000 Euro den Weg bereitet hat, aber auch dafür, dass sie der Heckroth-Gesellschaft in anderweitigen Fragen mit Rat und Tat zur Seite steht.

Der Wert eines Kulturpreises ist sicher nicht primär an der Höhe seiner Dotierung abzulesen. Trotzdem sieht die Heckroth-Gesellschaft ihre Arbeit in besonderem Maße dadurch wertgeschätzt, dass das Ministerium für Wissenschaft und Kunst in Wiesbaden und die Universitätsstadt Gießen die Preisgelder für die diesjährige Preisvergabe verdoppelt haben.

Das Ministerium ist heute auch durch den Theaterreferenten, Herrn Jan-Sebastian Kittel, vertreten, den ich herzlich willkommen heiße.

Für die Stadt Gießen gilt mein Gruß den Magistratsmitgliedern Frau Astrid Eiblshäuser, Frau Monika Graulich und Frau Gerda Weigel-Greilich sowie dem Stadtverordnetenvorsteher Herrn Frank Schmidt und allen Mitgliedern des Stadtparlaments, die heute anwesend sind.

Erlauben Sie mir nun, weitere Ehrengäste willkommen zu heißen: zunächst Herrn Direktor Hans-Heinrich Bernhardt, Vorstandsmitglied der Volksbank Mittelhessen, den ich mit herzlichem Dank für die Unterstützung unserer Preisverleihung durch seine Bank in unserer Mitte willkommen heiße. 

Für großzügige finanzielle Förderung haben wir ebenso herzlich der Sparkasse Gießen zu danken, die in diesem Saal durch Frau Anita Acetino vertreten ist. Seien Sie willkommen.

Stellvertretend für den wissenschaftlichen Bereich begrüße ich den Präsidenten der Justus-Liebig-Universität Gießen, Herrn Prof. Dr. Joybrato Mukherjee, und den Präsidenten der Technischen Hochschule Mittelhessen, Herrn Prof. Dr. Matthias Willems.

Zur Durchführung unseres Festaktes gewährt uns das Stadttheater Gießen großzügig Gastrecht in seinen Räumen. Der Intendantin, Frau Cathérine Miville, entbiete ich einen herzlichen Gruß und aufrichtigen Dank für vielfältige Unterstützung, auch für das Grußwort, das sie an uns richten wird. Bedanken möchte ich mich überdies bei Frau Kristin Schulze, die als rechte Hand der Intendantin die Vorbereitung des heutigen Festaktes souverän und gelassen begleitet hat.

Als weitere besonders herausgehobene Gäste begrüße ich Rike Huy und Katrin Zurborg, die den musikalischen Rahmen des Festaktes gestalten, und den Journalisten Till Briegleb aus Hamburg, der sich gerne bereiterklärt hat, die Laudatio auf Katrin Brack zu halten. Auf dieses Festtagslob freue ich mich ganz besonders. Aus meiner Sicht handelt es sich um das Kernstück unserer Veranstaltung. Ohne den ansteckenden Enthusiasmus einer Lobrede wird jede Feierstunde zum Ritual, das absehbare und daher langweilige Konvention verströmt.

Ich begrüße ganz herzlich Frau Professor Dr. Sigrid Hofer, die an der Universität Marburg die Kunstgeschichte der Moderne in Forschung und Lehre vertritt. Sie wird hier und heute dafür Sorge tragen, dass der Namensgeber unseres Preises, Hein Heckroth, mit seinem Werk schlaglichtartig zur Geltung kommt.

Schließlich möchte ich mich sehr herzlich bei Dietgard Wosimsky bedanken, die als Gründungsvorsitzende der Heckroth-Gesellschaft bei früheren Preisverleihungen hier gestanden und die Begrüßungsrede gehalten hat und die unseren Verein zu dem gemacht hat, was er heute ist. Als stellvertretende Vorsitzende prägt Dietgard Wosimsky mit dem Gewicht ihrer Persönlichkeit, mit ihrer Energie und ihren zahlreichen Verbindungen nach wie vor die Arbeit der Heckroth-Gesellschaft. Der neue Vorsitzende ist dafür äußerst dankbar.

An diesem Punkt angelangt, begrüße ich die Präsidentin von Soroptimist International Deutschland, Frau Gabriele Zorn, und die Vertreter der Medien.

Herzlicher Gruß und herzlicher Dank gelten Ihnen allen, die Sie unserer Einladung gefolgt sind!

Und jetzt wünsche ich uns allen einen anregenden und reibungslosen Verlauf der Preisverleihung. Und für den Fall, dass etwas schiefgehen sollte, erinnere ich schon jetzt an einen großartigen Satz von Nam June Paik, den Katrin Brack gerne zitiert: „When too perfect, lieber Gott böse.“


Grusswort

Staatsministerin Angela Dorn
Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst

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Die Kreativität, Energie und Arbeit, die hinter einem gelungenen Bühnenbild stehen, werden oft unterschätzt. Dabei entscheidet das Bühnenbild darüber, ob eine Inszenierung das Publikum überzeugt und begeistert. Deshalb ist es mir eine große Ehre und Freude, dass wir mit der diesjährigen Trägerin des Hauptpreises Katrin Brack eine international erfolgreiche und renommierte Künstlerin des Bühnenbildes hier in Gießen haben. 

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir ein paar wenige Worte zu dem Namensgeber des Bühnenbildpreises, Hein Heckroth, der hier in Gießen geboren und aufgewachsen ist. Denn auch wenn dies heute ein feierlicher Anlass ist, so will ich zunächst einen bedrückenden Fakt aus dem Leben von Hein Heckroth herausgreifen – und ich erkläre Ihnen auch gleich, warum.

Hein Heckroths Karriere schien durch seine Berufung auf eine Professur für Bühnenbild im Jahr 1933 vor der Krönung zu stehen. Doch es war der Abend vor Beginn der Nazidiktatur – und die neuen Machthaber machten plötzlich die Scheidung von seiner jüdischen Ehefrau zur Einstellungsvoraussetzung. Heckroth verzichtete auf die Professur und wurde nur wenig später mit einem Lehrverbot belegt.

Wie vielen anderen Künstlern und Intellektuellen blieb ihm schon kurze Zeit später nur noch das Exil. In dieser Zeit wurde die Kunstfreiheit in Deutschland vollständig unterdrückt. Künstler litten unter vielfältigen Schikanen. Bücher wurden verbrannt, Auftrittsverbote ausgesprochen. Alles, was den Vorstellungen der Machthaber nicht entsprach, wurde als „entartet“ diffamiert und entfernt oder vernichtet. 

Heute ist die Freiheit der Kunst in unserem deutschen Grundgesetz fest verankert. Kunst stellt Fragen zu unserem Leben, unseren Werten, unserer Identität und unseren Überzeugungen, zu unseren Konflikten und Gemeinsamkeiten – und zwar innerhalb unseres Landes und im Verhältnis zu anderen Ländern. Und sie stellt diese Fragen immer wieder neu, verhandelt Veränderungen zwischen den Generationen oder Geschlechtern, schafft Raum, Vergangenheit und Gegenwart neu zu betrachten. Kultur ist immer auch ein Spiegel der Gesellschaft. Sie trägt dazu bei, unseren Blick zu schärfen und unsere persönliche Haltung zu festigen.

Für eine Gesellschaft ist die Kultur das, was das Gedächtnis für den Einzelnen ist. Kultur hilft uns, die Vergangenheit zu verstehen, und kann uns gleichzeitig ein Kompass sein für unser gegenwärtiges und unser zukünftiges Leben. Wenn wir Kultur erleben, dann können wir erleben, wer wir waren, wer wir sind und wer wir sein wollen.

Und deshalb ist es gerade heute wichtig, Haltung zu zeigen und entschlossen für die Werte einzustehen, die unsere Gesellschaft zusammenhalten: Freiheit, Toleranz, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. 

Die Förderung von Kunst und Kultur hat für die Hessische Landesregierung hohe Priorität. Und deshalb fördern wir auch gerne eine Auszeichnung wie den Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis. Wir schließen damit eine Lücke in der Landschaft der deutschen Kulturpreise, da mit dieser Auszeichnung die für das Theater so wichtige Kunstgattung Bühnenbild in den Blickpunkt rückt. Und um unsere Wertschätzung noch deutlicher zu zeigen, haben wir die finanzielle Würdigung, die mit dieser Auszeichnung verbunden ist, in diesem Jahr verdoppelt.

Investitionen in Kultur sind für uns Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft. Denn Kultur prägt unsere Gesellschaft. Sie gibt Identität und Orientierung – öffnet aber auch Diskursräume. So schafft Kultur einerseits ein Gefühl von Verbundenheit und stößt uns gleichzeitig Tore in andere Welten auf. 

Und Sie, liebe Frau Brack, sind eine von denen, die Tore zu anderen Welten schaffen. Dabei gelten Sie als Meisterin des Minimalismus und der Assoziationen. Sie verbinden die Materialien – meist relativ alltägliche Dinge wie zum Beispiel Konfetti – perfekt mit den Inhalten des Stückes. So schaffen Sie eine einzigartige Symbiose aus Bildgestaltung und Schauspielkunst. Mit Mut zum Experiment, zur Reduktion auf das Wesentliche und der Rückführung auf die Sinne des Publikums schaffen Sie Räume – Räume, die dann von den Schauspielern mit ihrem Spiel gefüllt werden können und die so einem Stück weitere Tiefe verleihen. Mit Ihrem einzigartigen Stil beeinflussen Sie die deutsche Theaterszene. Es freut mich sehr, dass Sie heute zu uns nach Hessen gekommen sind, um den Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis entgegenzunehmen.

Den Preisträger des diesjährigen Förderpreises hat, wie es den Statuten der Heckroth-Gesellschaft entspricht, Frau Brack ausgesucht. Lieber Manuel Gerst, Ihnen ebenfalls ein herzliches Willkommen! Sie sind ein Gründungsmitglied der 2005 am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen gegründeten Theatergruppe Monster Truck. Dort befassen Sie sich – zunächst auf der Bühne, seit einigen Jahren als Regisseur, Ideen- und Taktgeber – mit der Dekonstruktion von Bildern, Räumen und Strukturen. Sie überwinden dabei Konventionen und haben immer wieder den Mut zur Provokation. Für all dies erhalten Sie heute den von der Universitätsstadt Gießen gestifteten Hein-Heckroth-Förderpreis.

Eines dürfen wir auch zu solch einem festlichen Anlass nie vergessen: Eine freie Kunst und Kultur benötigt unser aller Engagement – unser Engagement als Initiatoren, als Gastgeber, als Ermöglicher, als Politiker und natürlich auch das Engagement der Künstler selbst; kurzum: Menschen, die um die Bedeutung von Kunst und Kultur wissen, sie schätzen und schützen; Menschen wie Sie alle, meine Damen und Herren. Dafür möchte ich Ihnen heute auch einmal ganz besonders Danke sagen.


GRUssWORT

Cathérine Miville
Intendantin des Stadttheaters Giessen

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Klappern gehört zum Handwerk – zum Theaterhandwerk allemal. So sind Kulturschaffende oft und mit Recht ziemlich laut, wenn es um die Kommunikation von Erfolgen und Auszeichnungen geht. Vielleicht wird da auch manchmal ein Preis ein bisschen sehr hochgespielt – selbst wenn er von oft selbsternannten „Expert*innen“ bei einem nicht wirklich zentral wichtigen Festival verliehen wurde.

Und dann gibt es die anderen, die wirklichen Könner*innen, die ganz einfach durch herausragende Arbeit immer wieder grandiose Theatermomente schaffen. Und zum Glück gibt es für diese großartigen Künstler*innen die ihren beglückenden Leistungen entsprechend besonderen Preise: der deutsche Theaterpreis FAUST oder der Goldene Löwe der Theaterbiennale in Venedig. Und in der Liga dieser Preise sehe ich den Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis, der heute bereits zum neunten Mal verliehen wird – die imposante Reihe der bisherigen Preisträger*innen spricht da ja eine sehr überzeugende Sprache.

So gratuliere ich Ihnen – sehr geehrte, liebe KATRIN BRACK – mit höchstem Respekt und freue mich wirklich sehr darüber, dass Ihnen heute diese besondere Auszeichnung zuteilwird. Und wenn ich es mal salopp ausdrücken darf: Es trifft ganz bestimmt die Richtige! Deutlich Berufenere als ich werden als Laudator*innen ihre Arbeit gleich würdigen – und auch die von MANUEL GERST, dem von Ihnen benannten Gewinner des Nachwuchspreises.

Gestatten Sie mir jedoch noch ein paar Gedanken zur Situation der Bühnen- und Kostümbildner*innen: Abseits der steten vielfältigen und spannenden ästhetischen Diskurse innerhalb und mit dieser Szene gibt es seit einiger Zeit nicht minder engagiert geführte Diskussionen über die Arbeitsbedingungen, insbesondere freiberuflicher Ausstatter*innen. Sie wollen unter anderem nicht länger im Schlepptau von Regisseur*innen gesehen werden, sondern als gleichberechtigte Partner*innen im Schaffensprozess der Kreativ-Teams. Und auch wenn diese Partnerschaft auf Augenhöhe innerhalb der künstlerischen Zusammenarbeiten inzwischen meist schon ganz selbstverständlich gelebt wird, so werden die Bühnen- und Kostümbildner*innen dennoch weiterhin meist erst im Nachhinein und auf Vorschlag der Regisseur*innen engagiert.

So hat sich eine stattliche Zahl dieser wunderbaren Künstler*innen im Bund der Szenografen zusammengetan und einen Forderungskatalog veröffentlicht, der auf einer von ihnen zuvor durchgeführten, breitangelegten Umfrage zu ihren Arbeitsbedingungen basiert. Und wenn auch ein Teil ihrer Forderungen aus meiner Sicht nicht wirklich realistisch ist, so sollten wir doch alle – Sie, die Sie in Politik, Wirtschaft, Medien Verantwortung tragen, aber auch wir als Theaterleiter*innen – mit daran arbeiten, dass Anerkennung und Konditionen für Bühnen- und Kostümbildner*innen soweit heutigen Lebensumständen angepasst und gesichert werden, sodass auch in der Zukunft junge Menschen Mut und Lust haben, sich aufzumachen auf den ohnehin sehr schwierigen Weg hin zum so wunderbaren, aber auch sehr komplexen Beruf des/r Bühnen- und/oder Kostümbildners*in.

Heute dürfen wir hier alle dabei sein, bei einem sehr schönen Anlass: Wir feiern zwei besondere Theaterschaffende. Diese hohe Anerkennung ist zweifelsfrei auch Motivation für viele.

Doch leider sieht manchmal die Realität der Wahrnehmung des Berufes der Bühnen- und Kostümbildner*innen auch anders aus: Erst auf den allerletzten Metern wurde die Förderung für den deutschen Beitrag bei der Prager Quadriennale, der weltweit größten Leistungsschau für Bühnenbild und Performance Design, doch noch genehmigt; wenige Wochen bevor das internationale Großereignis im Juni 2019 stattfindet und nachdem das Internationale Theaterinstitut im vergangenen Sommer die deutsche Teilnahme schon mangels Förderzusage absagen musste.

So freuen wir uns natürlich sehr, dass die Bert-Neumann-Retrospektive in Prag nun doch gezeigt werden kann – doch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Umgang mit wichtigen Ereignissen dieser Szene auch als Zeichen für die Realität der Wahrnehmung dieses Berufsstandes gesehen wird – gerade auch weil es sich nicht um eine Ausnahme handelte.

Und so werbe ich ganz offen und bewusst gerade heute, wo wir ja ein so positives Gegenbeispiel feiern dürfen: schauen wir auf diesen Berufsstand – er leistet Grandioses –, er bereichert unsere Theaterarbeit und -erlebnisse ganz wunderbar und innovativ.


 HEIN HECKROTH UND DIE KÜNSTLERGRUPPE QUADRIGA

Prof. Dr. Sigrid Hofer
Philipps-Universität Marburg

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Verehrte Festgesellschaft!

In der noch jungen BRD geht die Revolution der Malerei Anfang der 1950er Jahre – dies ganz im Gegensatz zu vielen lautstarken Kunstprovokationen der Avantgarde – von einer kleinen, bescheidenen Zweizimmerwohnung im Frankfurter Westend aus. Sie gehört dem Versicherungsangestellten Klaus Franck, der in seinem leidenschaftlich betriebenen „Nebenberuf“ quasi eine private Galerie führt (Abb. 1 und 2). Zwischen biederen Möbeln, die mit Häkeldeckchen drapiert sind, hängen an den Wänden und selbst an der Glasscheibe des Wohnzimmervitrinenschrankes verstörende Werke, die mit den überlieferten Traditionen brechen. 1952 werden vier mehr zufällig denn absichtlich zusammengekommene Maler von einem Kunstkritiker – es ist René Hinds [1]– zur Quadriga und damit zu einer Künstlergruppe erhoben. 

Spontane Handschriften, impulsive Gestik, bunte Farbklekse, über die Ränder hinausdrängende Formwirbel, dynamische Liniengespinste und mitunter der Verzicht auf ein formales Bildzentrum kennzeichnen diese abstrakten Werke und werden das Motivmaterial einer Kunstrichtung, die sich Informel nennen wird. Zunächst von weiten Kreisen mit Unverständnis kommentiert, etabliert sich diese Richtung rasch als repräsentative Kunstform der BRD. Nichts – so scheint es – kann die nach dem Faschismus wiedergewonnene Gedankenfreiheit besser zum Ausdruck bringen als ein Kunstwerk, das seine Spezifik allein dem subjektiven Willen seines Meisters verdankt. 

1 + 2 Zimmergalerie Franck, Ausstellung der „Neu-Expressionisten“ (Quadriga), Dezember 1952, Nachlass Klaus Franck

1 + 2 Zimmergalerie Franck, Ausstellung der „Neu-Expressionisten“ (Quadriga), Dezember 1952, Nachlass Klaus Franck

Auch für das westdeutsche Unternehmertum, das nach dem Zweiten Weltkrieg liberale Signale nach außen senden will, ist das Informel daher sowohl die bevorzugte wie die geförderte Kunstrichtung. Und nicht zuletzt dient das Informel als ideologisches Bollwerk gegen den Sozialistischen Realismus, der – in der DDR staatlich verordnet – die Künstler sowohl thematisch wie im Habitus der Darstellung in die Pflicht nimmt. Im deutsch-deutschen Verhältnis, das ab 1955 durch die Hallstein-Doktrin zusätzlichen Zündstoff erhält, spielen Kunst und Kultur eine wichtige, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle. Sie werden funktionalisiert, um im Kalten Krieg die unterschiedlichen politischen Positionen auszutragen und augenscheinlich zu demonstrieren.

Dass ihre Kunst jenseits einer ästhetischen Kriegserklärung auch de facto in weltpolitische Kontexte eingebunden werden könnte, liegt den vier Malern Otto Greis, Karl Otto Götz, Bernard Schultze und Heinz Kreutz freilich völlig fern. Für sie zählt zunächst der regionale Raum um Frankfurt am Main, wo sie über Galerien und Museen ihr Netzwerk spannen, und – nachdem sie einige Berühmtheit erlangt haben – Professuren in Düsseldorf (Götz 1959) und Köln (Schultze 1968) wahrnehmen bzw. nach Frankreich (Greis 1957) oder Bayern (Kreutz 1976) weiterziehen.

In die Frankfurter Jahre der Quadriga fällt die Bekanntschaft mit Hein Heckroth. Dieser kommt im Februar 1956 [2] nach Exil und Deportation wieder in die Stadt, in der er ab 1920 am Städelschen Kunstinstitut [3] studiert hatte. Seine strikte Trennung zwischen der im Film und im Bühnenbild angewandten Kunst und der „freien“ Malerei, die er zeitlebens offenbar als seine eigentliche Berufung ansieht,[4] muss ihn mit der Quadriga, deren Werke sich jeder thematischen Vereinnahmung per se verweigern, aufs Engste verbunden haben. Im neuen Frankfurter Umfeld führt er die Wendung zum Unbewussten und zu Traumbildern (Abb. 3), die er in seinen Pariser Arbeiten der frühen 1930er Jahre vollzogen hatte,[5] nunmehr in die Abstraktion über (Abb. 4). 

3 Hein Heckroth, Free Love, 1939, Öl auf Leinwand, 76,3 × 101,5 cm (Gabler 1977, Kat.-Nr. 18)

4 Hein Heckroth, o. T., 1959, Gouache, 43,5 × 55 cm, Privatbesitz

4 Hein Heckroth, o. T., 1959, Gouache, 43,5 × 55 cm, Privatbesitz

Als Heckroth in Frankfurt eintrifft, um den Bereich Ausstattung der Städtischen Bühnen Frankfurt zu leiten, hat man auch in der BRD die mageren Jahre hinter sich gelassen. Die Zeiten, in denen Karl Otto Götz Zeichnungen auf Toilettenpapier auftragen musste (Abb. 5), gehören der Vergangenheit an. Heckroth aber steht nicht, wie die Quadriga, am Anfang. Er ist bereits ein berühmter und auch wohlhabender Filmdesigner und Bühnenbildner, der für die Ausstattung des englischen Ballettfilms The Red Shoes 1949 den Oscar in der Kategorie „Best Art Direction“ erhalten hatte. Heckroth hat nicht nur Ansehen und Wohlstand im Gepäck – er sitzt am Steuer eines Bentleys –, sondern auch die Pariser und die amerikanische Avantgarde. Jackson Pollock, Robert Motherwell und Willem de Kooning soll er persönlich gekannt haben.[6] Als er 1933/34 in Paris lebt, wirken dort Wols und Jean René Bazaine. Man Ray, Max Ernst und Theodor Werner lernt er kennen.[7] In England arbeitet er 1935 an der reformpädagogisch orientierten Kunstschule „Dartington Hall School“ (South Devon) mit Mark Tobey zusammen. 1937 unternimmt er eine Reise nach Cassis und wohnt bei Georges Braque. Das Jahr 1943 bringt die Begegnung mit Kurt Schwitters. Auch die Kunsthistoriker Sir Herbert Read und Roland Penrose, die u. a. 1936 die erste große Surrealismus-Ausstellung in London organisieren, zählen zu seinem Bekanntenkreis.[8] Read sollte sich später – in den 1950er Jahren – explizit für die Abstraktion starkmachen.[9] In diesem enorm inspirierenden Umfeld entwirft Heckroth seinen Bilderkanon (Abb. 6). 

Schon einmal hatten sich die avantgardistischen Stilmittel geradezu überschlagen. Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts erreichte die Palette an unterschiedlichen Bildsystemen eine nie zuvor dagewesene Vielfalt, denn längst war die Zeit vorbei, in der gesamtgesellschaftliche Entwicklungen mit einer Kunstrichtung kongruent waren. Es bedurfte quasi polyästhetischer Zugriffe. 

5 Karl Otto Götz, Variationen über ein Thema für Klaus Franck zum 10.4.1953, Tusche auf Toilettenpapier, 230 × 11 cm, Nachlass Klaus Franck

6 Hein Heckroth, Der große Felsen, 1957, Öl auf Holz, 45 x 54 cm, Privatbesitz

6 Hein Heckroth, Der große Felsen, 1957, Öl auf Holz, 45 x 54 cm, Privatbesitz

Herausforderungen dieser Art nimmt Heckroth zeitlebens an. Er ist Nehmender und Gebender zugleich, greift auf, modifiziert, transformiert, immer auf der Suche nach der jeweils adäquaten Ausdrucksform. Er lässt sich nicht festlegen, er will nicht Sklave einer Stilrichtung werden. Inhalt und Form müssen jeweils neu gedacht und in Übereinstimmung gebracht werden (Abb. 7). Ihn reizt die Diversität, die ihm erst die Möglichkeit gibt, seine Erfahrungen und Eindrücke, die die unterschiedlichen beruflichen Tätigkeiten, die Reisen und Wohnorte mit sich bringen, differenziert zu verarbeiten. Vieles von seinem Œuvre ist – den Umständen geschuldet – verlorengegangen, doch lassen sich die diversen Kunstrichtungen, die ihm als Ausgangspunkt dienen, erkennen, und wie alle großen Meister hat er seine Lehrer und Vorbilder. Das Register, das er beherrscht, reicht von der Neuen Sachlichkeit über den Surrealismus bis hin zu reduzierter Gegenständlichkeit und abstrakter Komposition (Abb. 8 und 9). Auch thematisch ist Heckroth als Maler ungemein vielseitig: Porträts wechseln mit gesellschaftskritischen Szenen, Stadtlandschaften und Interieurs beschäftigten ihn ebenso wie phantastisch-irreale Welten. Er genießt die große Freiheit, die die Malerei bietet, und er schöpft sie in jeder Hinsicht aus, denn Film und Bühnenbild gebieten immer auch, Rücksicht auf die Seite des Mach- und Finanzierbaren zu nehmen (Abb. 10). In einem filmischen Porträt aus dem Jahr 1967 erläutert Heckroth die Bedeutung, die die bildende Kunst für ihn hat, wie folgt: 

„In der Kunst kann ich all das tun, was ich im Leben nicht tun darf. Es ist ein Abenteuer. Ich bin nicht interessiert, wohin ich komme, ich bin nicht interessiert, was dabei herauskommt. Es ist wie in Ferien fahren, man setzt sich ins Auto, ohne ein bestimmtes Ziel.“[10]

In Frankfurt fasst Heckroth schnell Fuß. Bereits von London aus tritt er in Kontakt mit Hanna Bekker vom Rath und vereinbart eine erste Ausstellung.[11] Vier Tage nach seiner Ankunft auf dem europäischen Festland besichtigt er bereits seine Bilder im Frankfurter Kunstkabinett, zwei Tage später findet die Vernissage statt. Kein Geringerer als Eberhard Beckmann, Theaterkritiker, Dezernent der Stadt Frankfurt und erster Intendant des Hessischen Rundfunks, hält die Eröffnungsansprache. „Sehr großer Besuch. Viele alte Bekannte“, notiert Heckroth in seinem Tagebuch.[12] Mit der Ausstellung bringt sich Heckroth unmittelbar ins Zentrum des Frankfurter Kunstgeschehens, denn Bekker vom Rath vertritt viele Künstler, die auch in der Zimmergalerie Franck präsent sind. Über die beiden Galerien findet sich Heckroth unmittelbar eingebunden in den Kreis der europäischen Avantgarde, er ist unter seinesgleichen. 

7 Hein Heckroth, o. T., 1959, Monotypie, 29 × 42 cm, Privatbesitz

8 Hein Heckroth, Synthese, 1925, Tuschfeder und Aquarell, 29 x 22 cm

8 Hein Heckroth, Synthese, 1925, Tuschfeder und Aquarell, 29 x 22 cm

Im Vergleich zur Quadriga ist Heckroth der Polyglotte, doch auch die Quadriga hat nach 1945 Kontakt zu anderen Kunstzentren und Künstlergruppen aufgenommen. Heinz Kreutz kann sich 1951 mit Hilfe eines privaten Stipendiums einen Studienaufenthalt in Paris ermöglichen.[13] Im gleichen Jahr sind auch Otto Greis und Bernard Schultze in Paris.[14] Greis sieht zudem im Palais des Beaux-Arts in Lüttich die Arbeiten der Künstlergruppe CoBrA (1951).[15] Vor allem Karl Otto Götz ist es, der international agiert und viele Künstler nach Frankfurt holt. In der Zimmergalerie Franck geben sich die Protagonisten der Nachkriegsavantgarde die Klinke in die Hand: 1951 ist dort die Ausstellung „RIXES. 8 junge Maler aus Paris“ zu sehen, Arnulf Rainer ist ebenso zu Gast wie Maria Lassnig und der japanische Bildhauer Shinkichi Tajiri aus Paris, Jean-Paul Riopelle (ebenfalls aus Paris), HAP Grieshaber, Ida Kerkovius, Hans Arp, Karl Hartung, Max Ackermann, Julius Bissier, Willi Baumeister, Giuseppe Capogrossi, Roberto Matta, Anton Rooskens, Raoul Ubac und viele andere. Wenn man sich in Erinnerung ruft, dass es neben der Zimmergalerie von Klaus Franck und dem Kunstkabinett von Hanna Bekker vom Rath lediglich zwei weitere Galerien gibt, die sich um die jungen Zeitgenossen kümmern – es sind die Galerie Rosen in Berlin und die Galerie Egon Günther in Mannheim [16] – wird die Bedeutung Frankfurts überaus deutlich. Klaus Franck veranstaltet von 1949 bis 1959 immerhin 122 Ausstellungen mit 127 Künstlern aus elf europäischen und vier außereuropäischen Ländern;[17] zudem gibt Karl Otto Götz in Frankfurt die Zeitschrift META heraus.

9 Hein Heckroth, Harlekin mit Hahn, 1935, Öl auf Pappe, 88 × 69 cm (Gabler 1977, Kat.-Nr. 9)

10 Hein Heckroth, o. T., ohne Jahr, Öl auf Leinwand, 36,5 x 61 cm, Privatbesitz

10 Hein Heckroth, o. T., ohne Jahr, Öl auf Leinwand, 36,5 x 61 cm, Privatbesitz

Heckroth ist einer der Protagonisten dieser progressiven Szene. Das weltoffene Klima in Frankfurt entspricht seiner Lebensführung, und die Tatsache, dass das Informel weniger ein Stil denn eine künstlerische Haltung ist, die expressive Abstraktion fordert, deckt sich mit der von ihm praktizierten Maxime von einer ebenso flexiblen wie variantenreichen Künstlerhandschrift. In seinen Tagebüchern existiert kaum ein Tag, an dem nicht Gäste zum Lunch oder Dinner gekommen wären. Ein illustres „Who is Who“ der Theater- und Filmwelt geht bei ihm ein und aus. Die Quadriga-Künstler hingegen tauchen in den Tagebuchnotizen so gut wie nicht auf. Immerhin gibt es am 9. 11. 1958 ein Abendessen in Schwanheim mit Karl Otto Götz und dessen Frau.[18] Erst 1968 findet sich eine Notiz zu Bernard Schultze, mit dem er eine Litfaßsäule für das Nordwest-Zentrum ausführt (Abb. 11), die für das kulturelle Leben der Stadt Frankfurt eine derart große Bedeutung hat, dass darüber sogar ein kleiner Film gedreht wird.[19] Erstaunlicherweise findet die Freundschaft, die zwischen den beiden besteht, in Heckroths Tagebüchern keine Erwähnung. Hieraus lässt sich jedoch nicht der Schluss ziehen, dass Heckroths Verbindung zur Quadriga im besten Falle loser Art gewesen sei. Zu eng sind die formalen Analogien. Es hat vielmehr den Anschein, dass sein Tagebuch eine Dokumentation all dessen ist, was mit seiner hauptberuflichen Tätigkeit im Zusammenhang steht. Auch seine finanzielle Situation will er im Blick behalten, und so verzeichnet er auch seine Einkünfte. Auf diese Weise erfahren wir, dass er in den 1960er Jahren sehr gut verkauft und neben Frankfurt auch in Mailand und Düsseldorf ausstellt. Während er aber für jeden Tag vermerkt, an welchen Produktionen er arbeitet, äußert er sich über seine „freie“ Malerei nur sparsam. Selten lesen wir Einträge wie etwa am 27. 05. 1958: „Have been painting all day.“[20] Woran genau er arbeitet, ist ihm hingegen keine Notiz wert. Doch belegt sein Werk, dass er in höchst unterschiedlichen Formulierungen die Mittel erprobt, die Informel bzw. Tachismus propagieren (Abb. 12). Immer wieder stellen sich Assoziationen ein. Mitunter scheint es, als habe er uns in das Innere eines Berges versetzt; dunkle Chiffren verweben sich und geben Figuratives frei; mehrschichtige Raumtiefen, evoziert durch Farbflecke, die ihrerseits durch das Prinzip des Zufalls generiert sind, schweben auf dem Papier; er untersucht die Wirkung und das Zusammenspiel von Farben und lässt über pastos aufgetragene Strukturen Vegetabiles aufscheinen (Abb. 13). Doch auch nun, als der Tachismus das bevorzugte Ausdrucksmittel seines Spätwerks wird, gibt er die Figuration nicht ganz auf; mitunter bezieht er sie in abstrakte Arbeiten ein. Priorität hat wie immer die künstlerische Autonomie, Grenzüberschreitungen sind für ihn selbstverständlich: „Im Grunde“ – sagt er 1967 – „ist eigentlich für mich kein Unterschied zwischen gegenständlicher Malerei und abstrakter Malerei.“[21] Er folge seinem „Instinkt“ und baue aus, was er sehe.[22] Neugierig und experimentierfreudig, souverän und behände orchestriert Heckroth über Jahrzehnte wechselnde Sujets, sprudelt über vor Ideenreichtum und unterzieht seine Malerei so einer ständigen Metamorphose, die der Kunstszene unvergängliche Spuren eingeschrieben hat. 

11 Hein Heckroth und Bernard Schultze, Litfaßsäule im Frankfurter Nordwest-Zentrum, 1968, Papiergröße: 150 x 500 cm

11 Hein Heckroth und Bernard Schultze, Litfaßsäule im Frankfurter Nordwest-Zentrum, 1968, Papiergröße: 150 x 500 cm

12 Hein Heckroth, Fluoreszenz, 1960, Tempera und Öl auf Spanplatte (?), 68 x 67,5 cm, Privatbesitz

12 Hein Heckroth, Fluoreszenz, 1960, Tempera und Öl auf Spanplatte (?), 68 x 67,5 cm, Privatbesitz

13 Hein Heckroth, o. T., 1962, Öl auf Holz, 57 x 49,5 cm, Privatbesitz

13 Hein Heckroth, o. T., 1962, Öl auf Holz, 57 x 49,5 cm, Privatbesitz

 

QUELLEN

 

Hein Heckroth, Tagebücher aus den Jahren 1955, 1956, 1958 und 1968 (unveröffentlicht, Privatbesitz Jodi Routh, Langen).

Reinschrift aus Farbe und Form – Ein Porträt des Malers Hein Heckroth, Fernsehdokumentation, Hessischer Rundfunk (Erstausstrahlung: 12.12.1967).


LITERATUR

Gabler, Karlheinz, Hein Heckroth 1901–1970, Kat. Ausst., Staatliche Kunstsammlungen Kassel, Kassel 1977.

Gaßner, Hubertus, Hein Heckroth. Der Maler, in: Hilmar Hoffmann u. Walter Schobert (Hg.), Hein Heckroth: Film-Designer (Kinematograph, Nr. 7), Frankfurt am Main 1991, S. 13–22.

Hofer, Sigrid, Entfesselte Form. Fünfzig Jahre Frankfurter Quadriga, Kat. Ausst., Städelsches Kunstinstitut und Städtische Galerie Frankfurt am Main, Frankfurt am Main und Basel 2002.

Kat. Ausst. Hein Heckroth 1901–1970, Frankfurter Kunstverein, Frankfurt am Main 1970.

Kat. Ausst. Stationen der Moderne. Die bedeutenden Kunstausstellungen des 20. Jahrhunderts in Deutschland, Berlinische Galerie und Museum für Moderne Kunst, Photographie und Architektur, Berlin 1988.

Klein, Dagmar, Der Kollege beeindruckte mit dem Bentley, in: Gießener Anzeiger, 20.11.2001, S. 24.

Költzsch, Georg-W. (Hg.), Informel. Symposion Informel. Die Malerei der Informellen heute, Saarbrücken 1983.

Ohff, Heinz, Die Quadriga oder die deutschen fünfziger Jahre, in: Quadriga, Kat. Ausst., Frankfurter Kunstverein, hg. von Georg Bussmann, Frankfurt am Main 1972, nicht paginiert.

Simmat, William E. (Hg.), franck und frei 1949–1959. Dokumentation zum zehnjährigen Bestehen der Zimmergalerie Franck, Frankfurt am Main 1960.

Zuschlag, Christoph, Zur Debatte um ungegenständliche Kunst in den 50er Jahren. Das „Leverkusener Gespräch“, in: Kunstgeschichte nach 1945. Kontinuität und Neubeginn in Deutschland, hg. von Nikola Doll u. a., Köln 2006, S. 183–194. 


[1] René Hinds verfasst nach der Vernissage ein Gedicht, in dem er vom „Sturmschritt einer Quadriga Malbesessener“ schreibt. Vgl. dazu den Ausst.-Kat. Stationen der Moderne, 1988, S. 421. 

[2] Am 17.2.1956 trafen Hein Heckroth und seine Frau Ada die letzten Vorbereitungen zur Abreise aus London und kamen am Tag darauf in Holland an. Vgl. dazu Heckroths unveröffentlichtes Tagebuch aus dem Jahr 1956 (Privatbesitz Jodi Routh, Langen).

[3] Kat. Ausst. Hein Heckroth, 1970, S. 18.

[4] Heckroth war von der Malerei über die Theaterbühne zum Film gekommen. In der hr-Fernsehdokumentation „Reinschrift aus Form und Farbe“ (1967) führte er aus: „Ich male, weil ich als Maler geboren wurde.“

[5] Dies erfolgte, indem er die rationale Bildwelt unter Einbezug seelischer Vorgänge weitete. Vgl. zu diesem „Stilwandel“ Gaßner 1991, S. 19.

[6] Klein 2001.

[7] Kat. Ausst. Hein Heckroth, 1970, S. 19.

[8] Ebd.

[9] 1956 bezeichnete Herbert Read die Abstraktion als „eine unvermeidbare Tendenz innerhalb der Gegenwartskunst“. Zitiert nach Zuschlag 2006, S. 190.

[10] Zitiert nach der Fernsehdokumentation „Reinschrift aus Farbe und Form – Ein Porträt des Malers Hein Heckroth“ (Hessischer Rundfunk, Erstausstrahlung: 12.12.1967).

[11] Vgl. Heckroths Tagebucheintrag vom 14.10.1955.

[12] Vgl. die Tagebucheinträge Heckroths vom 22. und 24.2.1956.

[13] Vgl. die Biographien in: Hofer 2002, S. 266-270, 273-276, 280-283.

[14] Vgl. Ohff 1972, und Költzsch 1983, S. 39.

[15] Hofer 2002, S. 268.

[16] Ohff 1972.

[17] Simmat 1960, S. 42.

[18] Ein weiteres Treffen ist für den 29.6.1968 eingetragen. Vgl. die entsprechenden Tagebucheinträge Heckroths.

[19] Vgl. dazu die Fernsehdokumentation „Reinschrift aus Farbe und Form – Ein Porträt des Malers Hein Heckroth“ (Hessischer Rundfunk, Erstausstrahlung: 12.12.1967).

[20] Vgl. den entsprechenden Tagebucheintrag Heckroths.

[21] Zitiert nach der Fernsehdokumentation „Reinschrift aus Farbe und Form – Ein Porträt des Malers Hein Heckroth“ (Hessischer Rundfunk, Erstausstrahlung: 12.12.1967).

[22] Ebd.


LAUDATIO AUF KATRIN BRACK

Till Briegleb
Journalist und Schriftsteller

21-heckroth-0226.jpg

Meine sehr geehrten Damen und Herren, 

verehrte Frau Staatsministerin Angela Dorn, 

liebe Auslober der Hein-Heckroth-Gesellschaft,

hochgeschätzte, liebe Katrin Brack!

Vermutlich hat die eine oder der andere von Ihnen schon einmal was von diesem Klimawandel gehört. Das ist die menschgemachte Veränderung der Atmosphäre, die entsteht, weil wir zu viel fliegen, zu viel Auto fahren, zu viel Fleisch essen und zu viele Dinge kaufen. Spätestens seit unsere Kinder richtig sauer auf uns sind und sogar ihre geliebte Schule schwänzen, um für eine neue Politik und einen anderen Lebensstil zu demonstrieren, wissen wir, dass Klimawandel einen ganz schlechten Ruf hat. Also scheint es eine eher absurde Idee, hier ausgerechnet ein Loblied auf den Klimawandel zu singen. Aber wie alles im Leben, so wandelt auch dieser Begriff sein Klima mit dem Kontext. Und Klimawandel im Theater, das subtile Verändern der Atmosphäre durch den Verbrauch von Rohstoffen, das ist ein ganz bezaubernder und geistig sehr anregender Vorgang, zumal, wenn er von einer so ausgesuchten Klimaexpertin wie Katrin Brack ausgeführt wird.

Tatsächlich ist Katrin Bracks wichtigstes Requisit die Luft, dieses unsichtbare Gasgemisch, das wir als völlig selbstverständlich hinnehmen, dessen Ausbleiben unser Leben aber nach wenigen Minuten beendet. Katrin Brack benützt Luft als Widerstand, als Füllung, als Kraft, zärtliche Berührung und als Träger von Licht. Luft ist der Baustoff ihrer Architektur aus sinnlichen Bewegungen, das alchemistische Element, mit dem sie aus fast nichts atmosphärisches Gold macht. 

Katrin Brack füllt Bälle, Ballons und Seifenblasen mit Luft, um die formvollendete Selbstorganisation zur Kugel zu demonstrieren, die der eingeschlossene Atem zeigt. Sie offenbart den Humor von Stickstoff und Sauerstoff, wenn diese Elemente mit herabfallenden Blättern, mit Konfetti oder Schneeflocken spielen, so dass ein immer wieder neuer lustiger Tanz der Leichtigkeit von der Decke zum Boden entsteht. Sie lässt Schaukeln, Scheinwerfer und Luftschlangen das Gas bewegen. Sie erinnert an das Gegenteil unserer Planetenhülle, das Vakuum, wenn sie Glühbirnen als Lichtgirlanden aufhängt, deren Glühfäden nur ohne Luft ausdauernd leuchten. Und manchmal sättigt sie einfach den Raum mit Nebel, der zeigt, dass ihr lebensspendendes Element auch ein zarter Bildhauer ist: von Zeit und Flüchtigkeit, von Geisterhaftem und wolkigen Schleiern.

Natürlich ist Katrin Brack keine Physiklehrerin, die uns mit ästhetischer Didaktik die Wirkkräfte des Unsichtbaren begreiflich machen will und dafür statt des Presslufthammers der Schulpädagogik lieber den poetischen Hauch der Erscheinungen benützt. Es geht bei ihren luftigen Setzungen für die Bühne nicht um Aufklärung, sondern um Symbolik, Metaphern, um Atmosphäre und Kommentar. Katrin Brack ist eine Konzeptkünstlerin, die für das Theater arbeitet, eine Minimalistin des Herzens, deren Weisheit die Geduld ist. 

Wenn sie etwa für Dimiter Gotscheffs vielfach preisgekrönte Inszenierung von Peter Handkes „Immer noch Sturm“ vier Stunden lang Blätter aus dem Schnürboden rieseln ließ, dann entstanden aus der zwangsläufig komtemplativen Beobachtung dieses Vorgangs unterschiedlichste Wahrnehmungsmöglichkeiten. Man konnte es einfach als korrespondierende Stimmung zu dem gleichmäßigen Fluss der Dichterworte lesen, oder als ständig sich veränderndes Memento mori. Das Laub-Bild mochte den Herbst eines Zeitalters beschreiben, in diesem Fall der Epoche des  von Handke rückblickend beschriebenen Freiheitskampfes der slowenischen Partisanen gegen den deutsch-österreichischen Faschismus. Aber vielleicht war das ruhige Herabfallen auch ein kleiner, gelassener, wenn auch spitzer Kommentar zu dem von Handke pathetisch beschworenen „Sturm“, der – wie man am balletthaften Trudeln der Blätter erkennen konnte – auf der Bühne gar nicht stattfand.

Dies ist nur ein Beispiel für den Klimawandel, den Katrin Bracks aktive Installationen herstellen. Im Gegensatz zu einer statischen Bühnenarchitektur, die auch bei größter Detailschönheit zum Hintergrund verdammt ist, sind besonders die flüchtigen Bühnenbilder aus ihrer 35-jährigen Praxis Teilhaber des Geschehens. Die oblatengroßen bunten Konfetti, die auf Gotscheffs Inszenierung von Koltes „Kampf des Negers und der Hunde“ rieselten, schufen einen Assoziationsraum für Karneval, Triumphparade oder Glamourparty, an dem sich Regie und Schauspieler genauso abarbeiten mussten wie an dem Badeschaumsturzbach für „Das große Fressen“. 

Es ist das Produktive dieser scheinbar irrationalen Eingriffe in ein vom Text vorbestimmtes Geschehen, dass gerade die schwerelosesten Zeichen im Luftraum einen hohen Widerstand für konventionelle Spielweisen bilden. Die atmosphärischen Störungen durch schwebende Teile animieren alle Akteure zu gesteigerter Kreativität und bewahren sie vor der Manier, nur anständiges Theater zu spielen. In Fortbildung von Peter Brooks berühmtem Konzept vom „leeren Raum“, in dem zu spielen besondere Phantasie verlangt, der aber auch dem Zuschauer intensivere Eigenvorstellungen überlässt als die vorprägende Kulisse aus Wand, Tür, Treppe und Landschaft, schafft Katrin Brack eine adressierte Leere. Das sich ständig leicht verändernde Raumklima erzeugt ein Kommunikationsangebot, eine vieldeutige Situation, der es an jeder hemmenden Eindeutigkeit mangelt. Und dafür sind kluge Schauspieler sehr dankbar. 

Samuel Finzi, der in vielen Atmosphären dieser teilnehmenden Situationsregisseurin gespielt hat, beschrieb den Kampf des Spielers und der Hindernisse einmal so: „Katrins luftige Bühnenpoeme öffnen den Schauspielern genug Raum für ihre eigene Dichtung. Diese als Bühnenbilder getarnten poetischen Metaphern entwickeln während der Proben ihre spezielle Organik und werden zu körperlich spürbaren, eigensinnigen und unentbehrlichen Mitspielern.“

Aber auch die immobilen Environments, die Katrin Brack entworfen hat, bestehen aus einer zweiten Ordnung, die das Spiel prägt. Das Bühnenbild, mit dem sie ihren nachhaltigen Ruhm begründete, der unter anderem zu drei Auszeichnungen als „Bühnenbildnerin des Jahres“ durch die deutschsprachige Zunft der Kritikerinnen und Kritiker in der Umfrage des Magazins „Theater heute“ und zur Verleihung des Goldenen Löwen auf der Theaterbiennale in Venedig geführt hat, bestand nur aus drei Holzpodesten, die immer neue Räume bildeten. Und trotzdem schuf sie mit diesen minimalsten Mitteln die Luft für die zwölfstündige Aufführung „Schlachten“ von Tom Lanoye und Luk Perceval, in der die acht Königsdramen Shakespeares zusammengefasst waren – ein ungeheures Wagnis der Beschränkung, das von weniger genialer Hand gesetzt auch zum Frostklima gelangweilter Zuschauer hätte führen können. Stattdessen materialisierte sich der Raum als Konzentrationshilfe.

Für Luk Perceval, mit dem Katrin Brack neben Gotscheff am intensivsten zusammengearbeitet hat, aber auch für andere Regisseurinnen und Regisseure wie Angela Richter, Laurent Chétouane oder Armin Petras schuf Katrin Brack noch weitere Klimametaphern. Ein riesiger entwurzelter Baum, der trotzdem grüne Blätter trug für eine King-Lear-Adaption, eine Batterie von Ventilatoren für das kriegerische Opferdrama um die Windstille vor dem Trojafeldzug in „Iphigenie auf Tauris“, ein undurchdringliches Gestrüpp aus Büschen beim „Tod eines Handlungsreisenden“, eine „Prinz von Homburg“-Tragödie im Dauerregen oder eine Dauersonne aus gelben Lichterketten für das zeitgenössische Verleumdungsdrama „Esra“ – das sind nur einige Beispiele für die inszenierten Phänomene, mit denen Katrin Brack Wetterprognosen über Menschheitsfragen auf die Bühne bringt, große assoziative Turbulenzen immer aus dem Schmetterlingsschlag einer genialen Idee gewinnend.

Nun stehen Konzeptkünstler und -künstlerinnen seit jeher im Verdacht, humorlose Typen oder auch arrogant aus Selbstschutz zu sein, weil es so leicht scheint, die Genialität schlichter Ideen zu schmähen. Aber Katrin Brack ist nichts von dem. Ich habe sie immer als ausgesprochen unprätentiös, am Anderen interessiert und bis zur Schüchternheit bescheiden erlebt. Aber mindestens so wichtig für die große Anerkennung, die sie sowohl im Theater wie bei Beobachtern von außerhalb genießt, ist ihr flinker Witz und warmer Humor, mit dem sie eine völlig angstfreie und spielerische Atmosphäre auf den Probebühnen miterzeugt. 

Nicht, dass Katrin Brack immer auf gut Wetter machen würde. Wo es um grundsätzliche künstlerische Entscheidungen geht, kann sie auch mal entschlossen und konfrontativ werden. So hat sie einst bei der „Iwanow“-Inszenierung an der Berliner Volksbühne von Dimiter Gotscheff, der ihren Dauernebel nicht mochte, bis zum Beginn der Premiere gewartet, die der Regisseur in der Kantine verbrachte, um die Trockeneismaschinen wieder auf volle Intensität zu stellen. Als nach der Premiere alle von dem tollen Dunst schwärmten, der diese Inszenierung so besonders gemacht hätte, fühlte sich auch der Regisseur plötzlich sehr geschmeichelt. Das ist dann Klimawandel der schelmischen Art, der auch verhagelten Gemütern etwas Erderwärmung gönnt. 

Wenn also Katrin Brack wie Ariel die Sphären bewegt, damit wir das Altbekannte völlig neu betrachten können, dann ist das Traurigste daran, dass ihr Klima so vergänglich ist. Es ist eben doch, wie der weise Peter Brook es mal sagte: Theater ist immer in den Wind geschrieben. Aber deswegen ist es so schön, dass es Momente wie diesen gibt, wo das dickbackige Gebläse der Proben und Premieren mal für einen kurzen Moment zum Stillstand kommt, um sich daran zu erinnern, welchen aufregenden Sturm Katrin Brack im deutschen Theater angezettelt hat. 

Ich freue mich wirklich sehr, dass Du diesen wichtigen Preis nun erhalten wirst für Deine ergreifend schöne und kluge Kunst, und ich gratuliere Dir von ganzem Herzen. 

VERLEIHUNG DES HEIN-HECKROTH-BÜHNENBILDPREISES 2019 AN KATRIN BRACK

Staatsministerin Angela Dorn
Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst

Dr. Marcus Kiefer, Katrin Brack, Staatsministerin Angela Dorn

Dr. Marcus Kiefer, Katrin Brack, Staatsministerin Angela Dorn

Sehr geehrte, liebe Frau Brack,

nach dieser wunderbaren Laudatio darf ich Ihnen nun den Preis verleihen und den Text der Urkunde verlesen:

„Die Hein-Heckroth-Gesellschaft Gießen e. V. verleiht den vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst gestifteten Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis 2019 an Prof. Katrin Brack in Anerkennung der herausragenden künstlerischen Qualität ihrer bühnen- und kostümbildnerischen Arbeit.“ 

Zur Begründung der Preisvergabe zitiert die Urkunde Gero Troike, den Hein-Heckroth-Bühnenbildpreisträger des Jahres 2017: 

„Katrin Brack ist ständig in Bewegung, sie ist ein unruhiger Mensch. Sie hatte das große Glück, von Anfang an mit sehr unterschiedlichen großartigen Theaterleuten zusammenzuarbeiten. Als kluger, empfindsamer Beobachter hat sie von dieser Vielfalt profitiert. Aus diesem Fundus schöpfend, entstehen ihre besonderen Theaterräume, die manchmal nur aus Luft und Licht bestehen. Atmosphärische Räume, die Schauspieler zum Spiel auffordern und anregen.“

Liebe Frau Brack, ich gratuliere Ihnen von ganzem Herzen zu diesem wunderbaren Preis!


DANK

Katrin Brack

27-heckroth-2682.jpg

Ich bedanke mich sehr für den Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis. 

Von Hein Heckroth wusste ich vorher nicht viel, nur dies: dass er Bühnenbildner war und für die Ausstattung des Films „The Red Shoes“ einen Oscar in Hollywood bekommen hat. 

Je mehr ich nun aber über ihn gelesen habe, umso stärker bin ich fasziniert von seinem intensiven Schaffen als Maler, als Bühnenbildner oder als Lehrer, von seinen großen Erfolgen im Theater und später beim Film. Aber auch sein Verzicht auf eine Professur für Bühnenbild in Dresden, nachdem die Nationalsozialisten verlangt hatten, er solle sich von seiner jüdischen Frau Ada scheiden lassen, die Flucht nach Paris und die materielle Not der Familie, die Zeit in England, die Internierung in Australien, wo selbst im Lager Theater gespielt wurde und Heckroth ein Bühnenbild gestaltete, all das hat mich ungeheuer bewegt.

Dass ich nun hier stehe und für meine Bühnenbild-Arbeiten mit dem Heckroth-Preis geehrt werde, erfüllt mich mit Demut, mit großer Freude und – zumindest ein wenig – auch mit Stolz.

Also nochmals vielen Dank; an Gero Troike, der mich für diese Ehrung vorgeschlagen hat, 

an Frau Wosimsky, an die Hein-Heckroth-Gesellschaft und ihren Vorsitzenden, Herrn Dr. Kiefer, 

an Frau Staatsministerin Dorn, 

an alle, die an diesem Festakt mitgewirkt haben, 

an die tollen Musikerinnen und 

an Dich, lieber Till Briegleb, für die wunderbare Rede. 

Danke!


LAUDATIO AUF FÖRDERPREISTRÄGER MANUEL GERST

Katrin Brack

 

Ich weiß noch, wie Manuel Gerst vor vielen Jahren in meinem Büro in der Kunstakademie München saß und mich fragte, ob ich ihn in die Bühnenbildklasse aufnehmen würde. Ich schaute mir seine Bewerbungsmappe an, in der eine beeindruckende Anzahl von Projekten als Regisseur und Performer aufgelistet war. Verwundert fragte ich dann, warum er denn jetzt noch einmal Bühnenbild studieren möchte. Darauf sagte er etwas schüchtern: „Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Ich hatte nur das Bedürfnis, etwas in meinem Leben zu ändern. Und wenn es mir doch nicht gefällt, kann ich ja auch jederzeit wieder woanders hingehen.“ 

Da musste ich innerlich lachen und fand das sehr sympathisch und ehrlich. Erst einmal – ohne groß nachzudenken – etwas intuitiv machen und danach gucken, ob einem das gefallen hat; und wenn nicht, dann woanders hingehen. Diese sehr intuitive Herangehensweise habe ich später in Manuel Gersts Arbeiten wiedergefunden.

Eine Arbeit von ihm, vor der ich in Deckung gehen musste, war ein Klo, das die Zuschauer mit Wasser bespuckte und mit klapperndem Klodeckel hämisch auslachte. Die Aufgabe, die ich meinen Studierenden an der Akademie gestellt hatte, bestand darin, „kinetische Möbel“ zu entwerfen.

Bei der ersten Performance, die ich von Manuel Gerst und seiner Theatergruppe Monster Truck gesehen habe, wurde ich von einem riesigen Katapult mit Styropor-Totenköpfen beschossen – eine ziemlich verrückte Show mit geistig behinderten Darstellern, die wilde Mongolen spielten.

In einem anderen Kontext vor den Kopf gestoßen wurde man als Zuschauer, als man beim Festival Radikal jung in München ein neues Stück von Monster Truck sehen wollte und das Publikum dann in Busse gesetzt und in eine kommerzielle Motocross-Show in die Olympiahalle gefahren wurde. „Wir würden heute lieber kein eigenes Stück präsentieren“, wurde zuvor auf der Bühne im Volkstheater eingeblendet, und die Theaterkarten wurden in Tickets für „The Night Of The Jumps“ ausgetauscht, die den dreifachen Wert hatten – ein großartiger Kommentar über Ökonomie und Verweigerung.

Die Arbeiten von Manuel Gerst haben etwas sehr Widerständiges und nehmen in ihrer Komik den Theaterbetrieb nicht so ernst, was sehr selten ist. Auch dass er häufig in hierarchiefreien, kollektiven Konstellationen Projekte entwickelt, fand ich sehr spannend und hat mich dazu bewogen, den Förderpreis an ihn zu vergeben. Am Anfang steht bei ihm immer die Frage, welche Gesetze welcher Raum hat und wie man diese gekonnt mit Humor unterwandert. Dabei ist das Bühnenbild nie der Angestellte der Regie, sondern ein gleichberechtigter Mitspieler. 

Konsequenterweise war Manuel Gersts Diplomarbeit in der Bühnenbildklasse ein einzelner Eishockeyspieler in einem leeren Atelier, der auf einer künstlichen Eisfläche unablässig seine Runden drehte. 

Lieber Manuel, ich freue mich sehr, dass du dein Diplom bei mir gemacht hast und es dir in München anscheinend gefallen hat. Bleib wie du bist, ich wünsche dir alles Gute auf deinem weiteren Weg, wo immer du auch hingehst.

VERLEIHUNG DES HEIN-HECKROTH-FÖRDERPREISES 2019 AN MANUEL GERST

Dietlind Grabe-Bolz
Oberbürgermeisterin der Stadt Gießen

Dr. Marcus Kiefer, Manuel Gerst, Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz

Dr. Marcus Kiefer, Manuel Gerst, Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz

Sehr geehrte Frau Staatsministerin Dorn,

sehr geehrter Herr Dr. Kiefer,

sehr geehrte Frau Miville,

sehr geehrte Frau Prof. Brack,

sehr geehrter Herr Gerst,

zur heutigen Verleihung des Hein-Heckroth-Bühnenbildpreises und des Hein-Heckroth-Förderpreises möchte ich die herzlichen Grüße des Magistrats der Universitätsstadt Gießen überbringen. Zunächst möchte ich Ihnen, sehr verehrte Frau Prof. Brack, meinen persönlichen Glückwunsch aussprechen und Ihnen sehr herzlich zum Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis 2019 gratulieren.

Dem Stadttheater Gießen und seiner Intendantin, Frau Cathérine Miville, möchte ich danken, dass diese wichtige Veranstaltung hier auf der Bühne stattfinden kann, auf der wir immer wieder neue, spannende Bühnenbilder erleben können – Bühnenbilder, die nicht Beigabe, sondern die Teil eines Bühnenwerkes sind. Es sind weniger Bühnenbilder als vielmehr Bühnenräume im Sinne von Kunsträumen.

Das Stadttheater nimmt in Gießen eine herausragende Rolle und Aufgabe wahr und ist Ausdruck bürgerlichen Gemeinsinns; so steht es in großen Lettern an der Front des Gebäudes. Es ist nicht nur eine hervorragende Kulturinstitution, sondern es ist ein wichtiger Ort für die Menschen, über die Gesellschaft, über die Welt, in der wir leben, und darüber, wie wir leben wollen, zu reflektieren. Zu diesem besonderen Verhältnis der Stadt Gießen zu ihrem Theater gehört auch der Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis, dessen Namensträger ein Sohn unserer Stadt ist. Bereits zum neunten Mal richtet sich in diesem Jahr damit der Fokus auf die Kunst des Bühnenbildes, und es wird mit dem – soweit ich weiß – einzigen europäischen Bühnenbildpreis die Arbeit einer herausragenden Bühnenbildkünstlerin sowie eines Nachwuchskünstlers ausgezeichnet. 

Der Heckroth-Preis trägt zum überregionalen Ruf Gießens als lebendiger Kulturstadt bei, und ich bin sehr dankbar, dass die Idee für diese Auszeichnung in unserer Stadt entstanden ist und der Preis kontinuierlich alle zwei Jahre verliehen wird. Mein herzlicher Dank hierfür geht an die Hein-Heckroth-Gesellschaft und damit an Sie als Vorsitzenden, sehr geehrter Herr Dr. Kiefer, und natürlich auch an die Begründerin der Gesellschaft, die Organisatorin und treibende Kraft hinter den Preisverleihungen, an Sie, sehr geehrte Frau Wosimsky.

In der Satzung der Hein-Heckroth-Gesellschaft steht: „Mit dem Hein-Heckroth-Förderpreis sollen junge Künstlerpersönlichkeiten ausgezeichnet werden, die am Beginn ihrer Laufbahn stehen. Alle zwei Jahre wird der Preisträger vom Hauptpreisträger benannt.“

Frau Prof. Katrin Brack hat Sie, sehr geehrter Herr Gerst, benannt, und es ist mir eine große Freude, Ihnen heute den Förderpreis 2019 im Namen der Universitätsstadt Gießen überreichen zu dürfen.

Katrin Brack macht uns mit der diesjährigen Nominierung schon deshalb eine besondere Freude, als Manuel Gerst von 2003 bis 2008 an der Justus-Liebig-Universität in Gießen bei Prof. Heiner Goebbels am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft, der – so kann man sagen – „Kaderschmiede“ der freien Theaterszene, studiert hat. Er ist somit ein Lebensabschnittssohn unserer Universitätsstadt. Hier in Gießen gründeten Sie, verehrter Herr Gerst, 2005 das Theaterkollektiv „Monster Truck“, heute eine der prominentesten Gruppen der freien Szene. Über Ihren weiteren künstlerischen Lebensweg haben wir in der Laudatio einiges erfahren.

Möge Ihnen, sehr geehrter Herr Gerst, dieser Preis und die damit verbundene Würdigung Ihres bisherigen Schaffens bei der Weiterentwicklung als Bühnenbildner hilfreich sein und Sie ermutigen, Ihre eigenen künstlerischen Wege erfolgreich weiterzugehen!

Ich darf nun den Text der Urkunde verlesen:

„Die Hein-Heckroth-Gesellschaft Gießen e. V. verleiht den von der Universitätsstadt Gießen gestifteten Hein-Heckroth-Förderpreis 2019 an Manuel Gerst in Anerkennung seiner Leistungen als Theatermacher und Bühnengestalter.“

Zur Begründung der Preisvergabe zitiert die Urkunde Katrin Brack: 

„Manuel Gerst ist Mitglied des seit 2005 aktiven freien und interdisziplinären Theater-Performance-Kollektivs Monster Truck. Parallel dazu arbeitet er als Bühnenbildner. Mit Leichtigkeit, Humor und Genauigkeit erfindet er Bilder, die verwirrend realistisch das Publikum faszinieren.Theater entsteht immer aus dem Zusammenspiel verschiedener Künstler/-innen. Gleichzeitig arbeitet aber jeder und jede für sich. Manuel Gerst ist ein leuchtendes Beispiel für eine Generation junger, neugieriger und vielseitiger Theatermacher/-innen.“ 

Sehr geehrter Herr Gerst, ich gratuliere Ihnen sehr herzlich!

DANK

Manuel Gerst

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Vielen Dank, Frau Grabe-Bolz, und natürlich möchte ich mich auch herzlich bei Frau Wosimsky und Herrn Kiefer und der Hein-Heckroth-Gesellschaft bedanken. 

Es freut mich tatsächlich ganz besonders, dass ich diesen Preis in Gießen überreicht bekomme, wo ich mein erstes Studium der Angewandten Theaterwissenschaft absolviert habe und sich somit für mich ein Kreis schließt. 

Vielen Dank, liebe Katrin, dass du mich für den Förderpreis vorgeschlagen hast, das bedeutet mir sehr viel. Es war mir eine große Freude und Ehre, bei dir in der Bühnenbildklasse gewesen zu sein, und es war damals für mich ein wichtiger Schritt in meinem Leben, nach München zu gehen. Ich habe dort meine Freundin Sylvia kennengelernt, die heute auch hier ist, und viele andere tolle Menschen. Von dir als Professorin habe ich mitgenommen, sich im Bühnenbild auf das Wesentliche zu konzentrieren, auf das, was wirklich wichtig ist, und den restlichen Schnickschnack einfach wegzulassen. Und das kann man natürlich auf jeden Bereich im Leben übertragen. 

Vielen Dank!


DAGMAR KLEIN 

RÄUME MIT SCHNEE UND KONFETTI

Die Erstveröffentlichung des Artikels erfolgte in leicht gekürzter Fassung am 8. April 2019 in der Gießener Allgemeinen Zeitung (GAZ).


Die neunte Verleihung des Hein-Heckroth-Bühnenbildpreises im Stadttheater war ein Who‘s who der Gießener Kultur- und Bildungsszene. Die alle zwei Jahre laufende Veranstaltung ist zum gesellschaftlichen Ereignis geworden, die Reihen des Zuschauerraums waren fast bis zum letzten Platz gefüllt.

Der diesjährige Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis ging an Katrin Brack, vorgeschlagen vom Vorgänger Gero Troike, und der Heckroth-Förderpreis ging an Manuel Gerst, vorgeschlagen von Brack. Der Vorsitzende der veranstaltenden Heckroth-Gesellschaft heißt jetzt Dr. Marcus Kiefer. Die Initiatorin, Gründerin und langjährige Vorsitzende Dietgard Wosimsky ist ins zweite Glied zurückgetreten, will Kiefer aber weiter mit ihren vielen Kontakten unterstützen. Ihr Wirken wurde mit warmem Applaus bedacht. Die charmante Moderation übernahm die Schauspielerin Petra Soltau, die eigentlich im Ruhestand nach Hamburg gezogen ist, aber doch weiter aktiv ist.

Kiefer wies darauf hin, dass beide Theatergebäude mit Bezug zur Hauptpreisträgerin Katrin Brack um die Jahrhundertwende 1900 vom Wiener Architektenbüro Helmer & Fellner erbaut wurden. Das gilt für das Stadttheater Gießen und das Akademietheater in Wien, wo Brack in den 80er Jahren ihr erstes Bühnenbild schuf und vor sechs Wochen ihre jüngste Premiere hatte. 

Als Vertreterin der preisstiftenden Landesregierung war Kulturministerin Angela Dorn anwesend. Sie bezog in ihrer Rede auch politisch Stellung gegen alle Versuche „von rechts“, Kunst und Kultur den Geldhahn zuzudrehen. Sie dankte allen Gießenern für ihr kulturelles Engagement. Und das sagte sie mit Augenzwinkern auch als Marburgerin. 

Das Grußwort der Gießener Intendantin Cathérine Miville war ebenfalls ein politisches: ein Plädoyer für den Berufsstand Bühnen- und Kostümbildner, an dem immer wieder versucht werde zu sparen, obwohl er grundlegend für das Theater ist. Sie stellte den Heckroth-Bühnenbildpreis in eine Reihe mit renommierten Kulturpreisen wie dem Faust und dem Goldenen Löwen von Venedig.

Den Vortrag zum Namensgeber des Preises, dem Bühnenbildner Hein Heckroth (1901-1970), hielt diesmal Sigrid Hofer, Kunstgeschichtsprofessorin an der Uni Marburg. Sie fokussierte den Blick auf Heckroth als Maler, und zwar auf seine Frankfurter Zeit, die mit dem Beginn der Nachkriegskunst und der legendären Frankfurter Künstlergruppe Quadriga zusammenfiel. Ähnlichkeiten im abstrakten Malstil, der die Bezeichnung „Informel“ erhielt, sind augenfällig, auch wenn Heckroth in den maßgeblichen 50er Jahren nicht gemeinsam mit den Vieren (Götz, Greis, Kreutz, Schultze) ausgestellt hat. Was auch daran liegen mag, dass Heckroth bekannt, etabliert und wohlhabend war, während die anderen am Beginn ihrer Karriere standen. Zum Glück bringt die Heckroth-Gesellschaft immer Dokumentationen der Preisverleihungen heraus, da kann auch dieser aufschlussreiche Vortrag künftig nachgelesen werden.

Die Laudatio des Journalisten Till Briegleb auf Katrin Brack fand teils lyrische, teils humorvolle Beschreibungen für Bracks Bühnenbilder. Sein Vortrag war begleitet von einer großformatigen Bildprojektion auf die Bühnenrückwand, so dass alle eine Ahnung davon bekamen, wie Bracks Schnee-, Konfetti- oder ballongefüllte Bühnen aussehen. Ihr eigentliches Hauptmedium sei die Luft, konstatierte Briegleb, als Füllung, Bewegungsmittel oder Widerstand, den es zu überwinden gelte. Er bescheinigte ihrem gut 30-jährigen Bühnenschaffen als „Klimametapher mit Wetterprognosen für Menschheitsfragen“ zu fungieren.

Nach Überreichung von Urkunde und Medaille folgte Bracks Dank, verbunden mit einer persönlichen Würdigung des Lebens und Wirkens von Hein Heckroth, der eine in Aussicht stehende Professur sausen ließ, weil er sich nicht, wie von den Nationalsozialisten gefordert, von seiner jüdischen Ehefrau scheiden lassen wollte. „Das macht demütig“, sagte sie. 

Ihre Laudatio auf den Förderpreisträger Manuel Gerst, der bei ihr an der Münchener Akademie den Diplomabschluss als Bühnenbildner gemacht hat, war warmherzig und persönlich. Sie würdigte ebenso die besondere Arbeit von Gerst als Teil des Performance-Kollektivs Monster Truck wie seine Arbeit als Regisseur und seine ausgefallenen Ideen für Bühnenbilder. Auch für ihn ist es wichtig, dass die Bühnenmittel sich während des Stücks verändern. 

Er sagte in seinem Dank, dass er von seiner Professorin vor allem gelernt habe, „sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und allen Schnickschnack wegzulassen.“ Für ihn schließt sich zudem ein Kreis, denn sein erstes Studium hat er bei den Angewandten Theaterwissenschaften in Gießen absolviert. Sein damaliger Professor Heiner Goebbels war ebenfalls zur Preisverleihung gekommen. Die den Preis überreichende Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz nannte ihn zur allseitigen Freude einen „Lebensabschnittssohn der Stadt Gießen“. 

Zum Gelingen dieser angenehmen und bereichernden Veranstaltung trug ein ungewöhnliches Musikduo bei. Rike Huy an der Trompete und Katrin Zurborg an der E-Jazz-Gitarre interpretierten eigene Kompositionen und solche von Markus Stockhausen. Beim anschließenden Sektempfang gab es reichlich Gesprächsstoff.

Preisgeld verdoppelt

Einzige Funktion der Hein-Heckroth-Gesellschaft (HHG) ist es, die Verleihung des Hein-Heckroth-Bühnenbildpreises zu organisieren. Der Hauptpreis wird vom Land Hessen, der Förderpreis von der Stadt Gießen gestiftet. Beide haben im vergangenen Jahr auf Initiative der HHG den Beschluss gefasst, das Preisgeld zu verdoppeln: Der Hauptpreis hat nun die Höhe von 10.000 und der Förderpreis von 5.000 Euro.

Preis ist einzigartig

Der Hein-Heckroth-Preis ist der einzige in Deutschland, der allein die Bühnenbildnerei würdigt. Ausgezeichnet werden Bühnenbildner oder Szenografen, wie sie heute heißen, die in ihre Arbeiten die Auseinandersetzung mit der bildenden Kunst kreativ einfließen lassen, ganz im Sinne des aus Gießen stammenden Malers, Bühnenbildners und Oscar-Preisträgers Hein Heckroth (1901–1970). 


Alle Fotos vom Festakt: Rolf K. Wegst, Buseck