Träger des Hauptpreises 2005:
Prof. Karl-Ernst Herrmann
Trägerin des Förderpreises 2005:
Bettina Kraus
Begrüßung: Cathérine Miville
INTENDANTIN STADTTHEATER GIESSEN
Einen wunderschönen guten Morgen, meine sehr verehrte Damen und Herren!
Ich heiße Sie zum Festakt anlässlich der Verleihung des Hein-Heckroth-Bühnenbildpreises 2005 hier im Stadttheater Gießen ganz herzlich willkommen.
Zum zweiten Mal wird dieser Preis nun vergeben, ein Preis mit dem an den in Gießen geborenen, bedeutenden Bühnenbildner und Maler Hein Heckroth erinnert wird. Und ich freue mich sehr, dass erneut so viele Interessierte den Weg zu uns gefunden haben.
„Der Mensch, das Augenwesen, braucht das Bild“ stellte Leonardo da Vinci schon vor bald fünfhundert Jahren fest – also lange bevor visuelle Medien anfingen, unsere Wahrnehmung zu bestimmen.
Der Mensch braucht das Bild - Der Theatermensch das Bühnenbild;
am Anfang einer Theateraufführung steht meist ein optischer Eindruck:
Der Zuschauerraum wird dunkel, der Theatervorhang hebt sich und gibt den Blick frei auf: das Bühnenbild. Bevor ein Wort gefallen, ein Ton gesungen ist, erfasst der Zuschauer in Sekunden schnelle, wo und in welcher Epoche die Inszenierung angesiedelt ist. Entweder er lehnt sich dann entspannt zurück: „alles in Ordnung – die Ausstattung ist historisch korrekt“, oder er bleibt leicht verkrampft, aufrecht an der Sesselkante sitzen und stellt resigniert fest, dass „die sich wieder eine Adaption ausgedacht haben“.
Bühnenbildner prägen ein Theatererlebnis ungemein stark. So ist nur schwer nachvollziehbar, warum sie selber in der öffentlichen Wahrnehmung bis vor gar nicht so langer Zeit verhältnismäßig wenig Beachtung fanden. In den letzten Jahren sind jedoch viele aus dem Hintergrund getreten, um sich selbstbewusst und gleichberechtigt mit Regisseuren zu Inszenierungsgemeinschaften zu verbinden. Die innovative Stärke und Strahlkraft des zeitgenössischen Theaters erklärt sich nicht zuletzt durch diesen kreativen Dialog zwischen Theaterschaffenden unterschiedlichen Ursprungs.
Hohe künstlerische Ausdruckskraft, aber auch der kenntnisreiche Umgang mit den technischen und wirtschaftlichen Ressourcen unterschiedlicher Theaterbetriebe sowie die Befähigung zum Selbst- und Projektmanagement machen das Profil eines guten
Bühnenbildners aus. Ein Beruf also mit mehr als komplexer Aufgabenstellung.
Zwei besonders erfolgreiche Vertreter dieses Fachs werden wir hier heute würdigen.
So freue ich mich besonders Prof. Karl Ernst Herrmann und seine Frau Ursl?? begrüßen zu dürfen.
Lieber Herr Herrmann, es ist mir eine wirkliche Ehre und Freude, Sie in unserem Stadttheater als Gast und Preisträger willkommen zu heißen.
Als Laudator begrüße ich den Co-Direktor des Berliner Ensembles Hermann Beil – über dessen Anwesenheit ich mich persönlich ganz besonders freue; ist Hermann Beil doch nicht ganz unbeteiligt daran, dass ich heute vor Ihnen stehe: Während meiner Gymnasialzeitwar Hermann Beil Chefdramaturg am Theater in Basel und hat ein gerade für junge Menschen extrem spannendes und anregendes Theater mitinitiiert; diese Erfahrungen und Erlebnisse prägten meine Vorstellung von Theater und meine Ansichten über Aufgabe und Möglichkeiten eines Stadttheaters. Lieber Hermann Beil herzlich willkommen.
Auch in diesem Jahr wird neben der Hauptauszeichnung auch ein Nachwuchspreis vergeben und damit der Nachwuchsförderung besondere Bedeutung beigemessen. Dafür möchte ich der Hein-Heckroth Gesellschaft ganz herzlich danken und gratulieren.
JungeBühnenbildner haben es schwer. Im Zuge um sich greifender Sparmaßnahmen im Kulturbereich ist es für junge Berufseinsteiger zunehmend hart geworden.
Umso mehr ein Grund zur Freude und Anerkennung, dass der Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis hier ein eindeutiges, positives Zeichen setzt.
Und so heiße ich auch die Trägerin des diesjährigen Nachwuchspreises Frau Bettina Kraus in unserem Kreis ganz besonders herzlich willkommen.
Des weitern möchte ich die Vize-Präsidentin des Hess. Landtages und ehemalige Kultur-Staatsministerin Frau Ruth Wagner sehr herzlich begrüßen. Liebe Frau Wagner, nachdem Sie bei der ersten Preisverleihung leider verhindert waren, freue ich mich umso mehr, dass Sie heute dabei sein können; haben Sie doch ganz wesentlich dazu beigetragen, dass der Preis vor einem Jahr aus der Taufe gehoben werden konnte.
Ich begrüße der Vorsitzenden der Giessener Stadtverordneten Versammlung Herr Dieter Gail und freue mich über die Anwesenheit des Kulturdezernenten und Vorsitzenden des Aufsichtsrates unseres Theaters Herrn Dr. Reinhard Kaufmann.
Ich freue mich, dass für das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kultur der Referent für Theater Herr Albert Zetzsche aus Wiesbaden zu uns gekommen ist.
Lieber Herr Zetzsche, lassen Sie mich Ihnen heute einmal ganz herzlich für Ihren unermüdlichen Einsatz für die Hessischen Theater und die so außergewöhnlich kompetente, kreative, hoch erfreuliche Zusammenarbeit danken.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sind sicher damit einverstanden, dass ich bei der illusteren Gesellschaft, die sich heute in unserem Zuschauerraum zusammengefunden hat, keine weiterenpersönlichen Begrüßungen mehr vornehme – bis auf eine.
Für die Hein-Heckroth-Gesellschaft heiße ich die Vorsitzende und Initiatorin der heutigen Feierstunde Frau Dietgard Wosimsky ganz herzlich willkommen. Liebe Frau Wosimsky ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Veranstaltung, dem Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis ein langes Bestehen und uns allen jetzt eine schöne Feierstunde.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Begrüßung: Dr. Reinhard Kaufmann
Kulturdezernent der Universitätsstadt Gießen und Vorstandsmitglied der Hein-Heckroth-Gesellschaft Gießen e.V.
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren,
ich begrüße Sie sehr herzlich im Namen des Magistrats der Universitätsstadt Gießen und zugleich im Namen des Vorstands der Hein-Heckroth-Gesellschaft Gießen. Alle von auswärts angereisten Gäste heiße ich herzlich willkommen in unserer Stadt und wünsche ihnen einen angenehmen Aufenthalt, der ihnen hoffentlich in guter Erinnerung bleibt.
Meine Damen und Herren, selbst auf die Gefahr hin, dass sich nach der Begrüßung durch die Hausherrin einige Wiederholungen nicht vermeiden lassen, gebieten es Respekt und Protokoll, einige der Anwesenden auch seitens des Magistrat und im Auftrag der Hein-Heckroth-Gesellschaft namentlich zu begrüßen, wobei ich versuchen werde, die Liste zu straffen und alle nicht Genannten um Verständnis für diese subjektive Auswahl bitte; jeder einzelne und Sie alle gemeinsam sind uns nicht minder herzlich willkommen!
Allen voran gilt ein besonderer Willkommensgruß den diesjährigen Preisträgern, Herrn Professor Karl-Ernst Herrmann aus Berlin, Ehrenmitglied der Akademie der bildenden Künste München, und Frau Bettina Kraus aus München. Ich begrüße auch Sie, Frau Professor Ursel Herrmann herzlich, obwohl wir Ihnen heute keinen Sonderpreis verleihen können, den Sie zweifellos für Ihre kongeniale Zusammenarbeit mit Ihrem Mann verdient hätten.
Sodann grüße ich herzlich Herrn Hermann Beil, Dramaturg am Berliner Ensemble, der sich dankenswerter Weise bereit erklärt hat, die Laudatio auf den Hauptpreisträger zu halten, sowie Herrn Albert Zetzsche, Theaterreferent im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, der die Verleihung des Hauptpreises vornehmen wird.
Geehrt fühlen wir uns, dass Frau Anna Markard aus Amsterdam angereist ist; sie ist der unmittelbare und lebendige Bezug zum Namensgeber unseres Bühnenbildpreises, denn als Tochter von Kurt Jooss, von dessen Ballett "Der Grüne Tisch" wir zum Abschluss dieses Festaktes eine Video-Aufzeichnung zeigen werden, hat sie als Kind Hein Heckroth kennen gelernt und gekannt. Sie ist weltweit verantwortlich für die Einstudierungen der Choreographien von Kurt Jooss, von denen "Der Grüne Tisch" die bekannteste ist. Seien Sie uns, Frau Markard, von Herzen willkommen in Gießen! Ich freue mich auf Ihren Programmbeitrag.
Und zwei weitere Damen möchte ich aus Anlass der heutigen Preisverleihung nicht minder herzlich begrüßen: Frau Staatsministerin a.D. und Vizepräsidentin des Hessischen Landtags, Ruth Wagner, ohne deren 2001 den Gießener Lobbyisten gemachte Zusage es keinen Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis geben würde. Sowie Frau Dietgard Wosimsky, Vorstandsvorsitzende der Hein-Heckroth-Gesellschaft und damals Frontfrau der Gießener Hein-Heckroth-Lobby, deren Hartnäckigkeit schließlich erfolgreich bei Frau Wagner angekommen ist. Ich denke noch immer gern an meinen Geburtstag in jenem Juni 2001 zurück, als ich im Foyer des Plenarsaals im Hessischen Landtag diesen beiden ebenso couragierten wie umsichtigen sowie der Kunst mit Herz und Verstand zugeneigten Damen ein wenig behilflich sein konnte, die Geburtswehen des Hein-Heckroth-Bühnenbildpreises zu einem glücklichen Abschluss zu bringen.
Als Vorstandsmitglied der Hein-Heckroth-Gesellschaft Gießen, aber auch als Kulturdezernent unserer Stadt bin ich froh und dankbar, dass der Hessische Minister für Wissenschaft und Kunst, Herr Udo Corts, das zarte, bei seinem Amtsantritt gerade aufkeimende Pflänzchen des Bühnebildpreises weiter gepflegt hat. Sie erinnern sich, meine Damen und Herren, mit der ersten Preisverleihung im April 2003 waren wir in die Turbulenzen der Neubildung der Hessischen Landesregierung geraten. Dank dieser Kontinuität im zuständigen Ministerium können wir heute zum zweiten Mal den Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis vergeben. Ich hoffe sehr, dass die drei an der Pflege dieses noch jungen Gewächses beteiligten Gärtner, das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst als Stifter des Hauptpreises, die Universitätsstadt Gießen als Stifterin des Förderpreises und die für die Mittelverwaltung und Organisation der Verleihungen zuständige Hein-Heckroth-Gesellschaft Gießen, auch weiterhin bereit sind, dem Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis die erforderlichen Nährstoffe zuzuführen und Pflege angedeihen zu lassen, damit er sich zu einem kräftigen Baum entfalte und sich an seinen Verzweigungen mit ähnlich prächtigen Blüten schmücke, wie es Karl-Ernst Herrmann und Bettina Kraus am diesjährigen Zuwachs sind, und Erich Wonder und Annette Murschetz am vorvorjährigen Austrieb waren.
Meine Damen und Herren, obwohl in der Einladung ausgedruckt, möchte ich doch abschliessend darauf hinweisen, dass am heutigen Sonntag, 17.00 Uhr, im Kino Traumstern in Lich der von Norbert Beilharz gedrehte Film "Die Herrmanns inszenieren Mozarts Titus", una vera opera, entstanden 1992 in Salzburg, gezeigt wird. Damit nichts im Ungewissen bleibt: "die Herrmanns", das sind der heutige Preisträger Professor Karl-Ernst Herrmann und seine Gattin Professor Ursel Herrmann, und der Eintritt zu diesem besonderen Kino-Ereignis ist gratis.
Und ein allerletztes, selbst wenn ich mich damit für einige von Ihnen, die bereits an der ersten Preisverleihung vor zwei Jahren teilgenommen hatten, wiederhole: die Hein-Heckroth-Gesellschaft Gießen sah sich noch immer nicht gezwungen, einen Aufnahmestopp zu ver-hängen! Im Parkett anwesende potenzielle Mitglieder können sich gern der ausliegenden Beitrittsformulare bedienen und sind uns herzlich willkommen. Das Finanzamt hat uns die Gemeinnützigkeit bestätigt, so dass Mitgliedsbeiträge, aber auch jederzeit willkommene, weil angesichts der Kosten dringend erforderliche Spenden steuerlich abgesetzt werden können.
Meine Damen und Herren, verzeihen Sie diesen arg profanen Schluss, aber er schien mir gerechtfertigt im Sinne des zuvor gebrauchten Bildes vom Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis als hin- und zuwendungsbedürftiges Pflänzchen. Die nun folgenden laudationes auf die Preisträger des Jahres 2005 versprechen Interessanteres und Erbaulicheres!Vielen Dank!
Laudatio auf Karl-Ernst Herrmann: Hermann Beil
Dramaturg des Berliner Ensembles
„Kommen Se rinn, da können Se raus kieken“
„Kommen Se rinn, da können Se raus kieken.“ – diese Berliner Redensart ziert als Motto jenen Katalog, den Karl-Ernst Herrmann und Erich Wonder zu ihrer gemeinsamen Ausstellung „Inszenierte Räume“ im Hamburger Kunstverein 1979 herausgegeben haben. Die lakonische wie verheißungsvolle Aufforderung ließe sich durchaus als eine witzige Weltformel für Karl-Ernst Herrmanns bildnerische und inszenatorische Phantasieverwenden: „Kommen Se rinn, da können Se raus kieken.“
Er lädt uns ein und verspricht uns ein Erlebnis: Trauen wir uns nun in seine Räume hinein, so warten dort tatsächlich die schönsten, die verwirrendsten, die sehnsuchtsvollsten, die erregendsten, die kühnsten Ausblicke auf uns: Die unerwarteten überwältigenden Überraschungen. Die Fenster, die er in seine Bühnenräume setzt, sind Fenster nach draußen und drinnen zugleich, in die Vergangenheit und in die Zukunft. Diese Fenster sind Horizont und Erwartung. So wie seine Türen Weite und Beginn, Abgrund oder das geheimnisvolle Unbekannte imaginieren. Nicht weit von hier – am Seltersweg – hat vor über 170 Jahren ein junger Dichter für kurze Zeit sein Studentenquartier bezogen; dieser Dichter hatte besagte Berliner Redensart etwas ausführlicher formuliert: „Haben Sie das neue Stück gesehen? Ein babylonischer Turm! Ein Gewirr von Gewölben, Treppen, Gängen und das Alles so leicht und kühn in die Luft gesprengt. Man schwindelt bei jedem Tritt. Ein bizarrer Kopf.“ Georg Büchner läßt seinen enthusiasmierten wie verwirrten Theatergänger in „Dantons Tod“ die Szene mit der dringlichen Aufforderung beenden: „Aber gehen Sie in’s Theater, ich rat’ es Ihnen.“ – Eigentlich könnte er auch sagen: „Gehn Se hin, da können Se raus kieken.“
Karl-Ernst Herrmann ist tatsächlich immer wieder ein Grund ins Theater zu gehen, um in alle nur mögliche Welten „kieken“ zu können. Dieser Grund wurde vor über 40 Jahren am Ulmer Theater gelegt, also in der sogenannten Provinz, die sich damals unter dem Intendanten Kurt Hübner als höchst unprovinziell erwies. In geradezu olympischer Rekordzeit von nur, sage und schreibe, 3 Monaten beendete der junge Anfänger seine Assistentenzeit bei Wilfried Minks, um sogleich das Bühnenbild zu einer Oper zu entwerfen: „Das schlaue Füchslein“. Der Janáček-Oper folgte in Ulm ein Stück nach dem anderen. Bremen aber war dann der strahlende Beginn, der Karl-Ernst Herrmann an die großen Theater führte, die er, über viele Jahre hin, mit seiner Arbeit entschieden prägte. Alle Orte, an denen Herrmann gearbeitet hat, würden auf der Landkarte ein ähnliches Muster abgeben, wie jene Städte, in denen die gloriosen Architekten auch der Gießener Bühne – Fellner und Helmer – ihre Theaterhäuser errichtet haben. Bremen, Braunschweig, München, Hamburg, Rotterdam, Zürich, Frankfurt, Stuttgart, Bochum, Cardiff, Paris, die Schaubühne Berlin, das Burgtheater Wien, die Brüsseler Oper, die Salzburger Festspiele, das Berliner Ensemble, Düsseldorf, Amsterdam und Genf, demnächst vielleicht Prag – und nicht zu vergessen in Wittenberge das Haus der Herrmanns an der Elbe, zwischen Obstbäumen und Schafweiden: All das sind Plätze seines Arbeitens, das – so vielfältig verschieden es ist – sich in einem, gleich wo es stattfindet, stets treu bleibt: im künstlerischen Anspruch und in der Genauigkeit auch des kleinsten Details. Unduldsam, ja zornig ist er gegen Schlampigkeiten, gegen künstlerische Gleichgültigkeit, gegen Phantasielosigkeit aus Faulheit, die ja auch eine Form der Dummheit ist. Seine Zusammenarbeit mit Regisseuren ist nicht von ideologischem Sektierertum, sondern von Neugier bestimmt, deswegen vermochte und vermag er sich immer wieder mit ausgeprägt gegensätzlichen Regiepersönlichkeiten zu verbinden: mit Peter Stein, Claus Peymann, Luc Bondy, Dieter Giesing, Jürgen Flimm, Adolf Dresen, Niels-Peter Rudolph, George Tabori, Thomas Langhoff oder Matthias Hartmann. Verbindet er sich einem Theater enger – und diese Verbindung ist immer eine Verbindung mit Menschen, nie mit einer abstrakten Institution – dann inspiriert seine Arbeit das ganze Haus: es sind nicht nur die Bühnenbilder und Kostüme, es ist die graphische Gestaltung der Programmbücher und Programmhefte, der Plakate, der Monatsspielpläne, die dem Theater eine Idee geben und sein Gesicht zeichnen. So manches seiner Theaterplakate ist zur Legende geworden und schmückt geradezu als Ikone unzählige Wohnungen. Die monatlich neue Titelzeichnung des BE-Spielplans ist wie eine poetische Flaschenpost, verschickt in alle Welt.
Allein seine Erfindungen für Theaterdrucksachen könnten ein höchst informatives Lehrbuch praktischer Druckkunst ergeben, denn er weiß, was eine Bodoni ist, eine Garamond, eine Walbaum, wie der Schnitt eines Buchstaben verläuft. Er hat’s gelernt und kann damit umgehen. Auf Karl-Ernst Herrmann trifft nämlich ein Satz Bertolt Brechts, den dieser einst auf den bedeutenden Bühnenbildner Caspar Neher münzte, mit ebenso großer Berechtigung zu: „Dieser Meister kennt alle Handwerke.“ Und deswegen verwundert es gar nicht, daß selbst ein von ihm entworfenes Flaschenetikett etwas ganz besonderes ist: sein Etikett für das Olivenöl von den Hängen des peleponnesischen Taigetos-Gebirges überzeugt allein schon vor einer Kostprobe von der Reinheit dieses edlen Öls.
Der schöpferische Akt bei Karl-Ernst Herrmann ist – so paradox es uns scheinen mag – alles andere als Traumtänzerei oder genialisches Getue – er ist zunächst unermüdlich penible Arbeit auf ein Ziel zu. Nur mit Fleiß kommt die Eingebung. „Es ist gerade die strenge Einfachheit des Details, die beständige Berechnung der Teile auf das Ganze, die bei ihm immer einen zwingenden Einruck hervorbringt.“ – so charakterisiert Jacob Burckhardt 1852 den großen Baumeister der italienischen Renaissance Andrea di Pietro, genannt Palladio, und beschreibt damit exakt auch Herrmanns Arbeitsweise. Seiner Arbeitsweise ist nämlich ein Instinkt für die idealen Proportionen eigen, vor allem eine genaue Empfindung für das richtige Spannungsverhältnis von Bühne zu Zuschauerraum. Mit diesem traumwandlerischen Gespür schafft er jene Räume, die uns suggestiv anziehen, vor allem aber Schauspielern einen Raum geben, der zur Freiheit des Spiels führt. Unvergeßlich ist mir der spontane Begeisterungsausbruch von Annemarie Düringer bei einem Publikumsgespräch zu Peymanns Burgtheater-Inszenierung von Shakespeares „Richard III.“, mit dem sie auf einen das naturalistische Kulissentheater einfordernden Zuschauer reagierte: „Der Karl-Ernst Herrmann gibt uns endlich Raum und Luft zum Spiel. Zum Spielen! Das ist eine heutige Shakespeare-Bühne. Unser Spiel erst schafft den Schauplatz.“ Auf anmutigste Weise und jedes Mal aufs Neue widerlegt Karl-Ernst Herrmann somit Ludwig Wittgensteins philosophisches Diktum „Was gezeigt werden kann, kann nicht gesagt werden.“ Die Schauspieler können alles sagen, weil ihr Sagen sich gleichsam zu einem Zeigen verwandelt. Dies gelingt in den poetischen Räumen des Karl-Ernst Herrmann, weil diese Räume immer eine ganze Welt bedeuten, weil die Räume mit Schauspielern überhaupt erst zu einer Welt werden. Seine Räume sind bildhaft so bestimmend, daß einem ohne diese seine Räume ein Stück oft gar nicht mehr möglich dünkt. Ich vermute, Thomas Bernhard trug in seinem Gehirnkasten als Idealvorstellung seines Theaters einen von Karl-Ernst Herrmann gebauten Guckkasten mit sich herum, damit er an jedem Ort der Welt das Stück, das er gerade schrieb, durchspielen konnte, als Gedankenprobe sozusagen. Es heißt, Thomas Bernhard schrieb für Schauspieler, man sagt auch, er schrieb für Peymann. Er schrieb aber ebenso, und das ist die Wahrheit, für „unseren lieben Karl-Ernst Herrmann“, wie er ihn einmal in einem seiner Dramolette tituliert hat. Und bereitwillig änderte Thomas Bernhard für „Heldenplatz“ den Schauplatz im 2. Akt von einem großbürgerlichen Zimmer in einen Außenraum, den Volksgarten nämlich, als er von Peymann hörte, der Herrmann könne gerade Außenräume so glaubhaft gestalten. Der aufrauschende Szenenbeifall eines auf Skandal eingestellten Publikums bei der Uraufführungspremiere in Wien zeigte, wie ein Bühnenbild selbst ein feindlich gesinntes Auditorium schlagartig zu entzücken vermag.
Ich kenne keinen Bühnenbildner meiner Generation, der so vielen Uraufführungen buchstäblich zum Erfolg verholfen hat, der für Stückeschreiber so anregend gewesen ist. Die magischen Gehäuse für die Thomas Bernhard-Figuren, die Gebirgswelten für Peter Turrinis „Alpenglühen“, die Bilderwelten für die Gesellschaftspanoramen des Botho Strauß, der blutige Geschichtsraum für Thomas Braschs Märchen aus Deutschland „Rotter“, die metaphorischen Orte Peter Handkes – wer kann sie sich anders vorstellen als wie von Karl-Ernst Herrmann geschaffen. Mit geradezu mozartischer Leichtigkeit entwirft Karl-Ernst Herrmann diese Raum-Welten: mit Klarheit und Einfachheit in der Form, aber reich in der Phantasie. Auch versunkene Welten, wie das jüdische Odessa in Dieter Giesings denkwürdiger Wiener Inszenierung von Isaak Babels „Sonnenuntergang“, holt er durch glühende Farben und kühne Perspektiven auf eine so berückende Weise vor unsere Augen, daß wir den Duft und die Hitze dieser fernen Landschaft geradezu körperlich verspüren. Aber es ist immer Theater, kein dumpfer Naturalismus. Wie macht er das nur? Und wieder möchte ich mit Brecht die Besonderheit der Herrmanschen Theaterphantasie benennen: „Es genügt einem Raum die Glaubwürdigkeit eines im Traum geschauten Raums.“ Seine jüngste Arbeit, zusammen mit Luc Bondy am Berliner Ensemble, also das neue Stück von Botho Strauß „Die eine und die andere“, ist ein weiteres, schönes Beispiel dafür, wie Herrmann mit und für das Theater zu dichten vermag: Die Szenen fließen ineinander, der Tag träumt, die Nacht phantasiert, Wände verwandeln sich in Theatervorhänge, und unversehens blicken wir hinter den Horizont und sehen eine andere Welt aufleuchten, eine, die wir begierig in unsere eigene Vorstellungswelt aufnehmen möchten, weil sonst die Seele unserer Augen verdorren würde.Karl-Ernst Herrmanns Theaterräume sind, so geschlossen sie uns zunächst erscheinen mögen, tatsächlich offen, sie haben Atem, den Atem des Lebens, den Atem der Geschichte, den heißen Atem von Himmel und Hölle. Zugleich sind seine Räume jederzeit Spielpodest für unsere Totentänze, lustvoll choreografiert mit den Requisiten der täglichen Niederlagen und Selbsttäuschungen. Seine Bilder überreden uns mit einer sanften Gewalt, der wir uns gern hingeben. Seit über 30 Jahren darf ich an seiner Arbeit Anteil nehmen. Darüber nachdenkend, was mir als Theatermensch diese Teilhabe bedeutet, stelle ich verblüfft wie erfreut fest, daß sie mir nie zuviel und nie langweilig geworden ist. Für mich liegt in dieser Erkenntnis eine Ermunterung, vielleicht sogar eine Gesetzmäßigkeit: Schönheit kann nicht langweilig sein, sie ist immer neu. Freilich predigt Karl-Ernst Herrmann eine solche Gesetzmäßigkeit nicht, er praktiziert sie ganz einfach, und er praktiziert sie, ohne je irgendeiner Mode nachzulaufen. Auch technische Neuerungen (etwa in der Beleuchtung) integriert er in seine Kunst, so souverän, als ob er der Erfinder dieser Neuerung selbst ist. In dem Buch eines Theaternarren heißt es: „Der Sänger Orpheus bezwingt die Furien durch seinen Gesang. Karl-Ernst Herrmann ist ein Orpheus des Bühnenbildes. Seine Zauberharfe ist die Phantasie, mit der er Raum und Zeit bezwingt.“
Die Musik, die seinen Bühnenbildern, seinen Theaterräumen, seinen sichtbar gewordenen Gedankenräumen insgeheim innewohnte, diese Musik mußte Karl-Ernst Herrmann folgerichtig zur Oper führen. Als Regisseur wohlgemerkt! Die Einleitungsmusik zu meiner Rede ist der Marsch aus Mozarts letzter Oper „La Clemenza di Tito“. Mit dieser Oper, die er und seine Frau Ursel Herrmann an Gérard Mortiers Brüsseler Oper 1982 inszenierten, wurde dieses lange verkannte Werk nicht nur auf grandiose Weise als ein wahres Meisterwerk ins Recht gesetzt, weil „La Clemenza di Tito“ aus dem Geist von Lessings „Nathan der Weise“ und Goethes „Iphigenie auf Tauris“ begriffen wurde – ich empfand dieses Mozartereignis als Offenbarung, und ich glaube auch heute noch fest daran –, mit dieser Oper begann vielmehr, zusammen mit Ursel Herrmann, eine große inszenatorische Opernmeisterschaft, deren Zentrum Mozart ist, und die von Brüssel aus an die großen Opernhäuser der Welt führte und die vor allem eines unter Beweis stellt: Karl-Ernst Herrmann kann mit dem Ohr sehen und mit dem Auge hören, so ingeniös verbinden sich bei ihm Szene und Musik. Es gelingt ihm sogar, den Geist Mozarts und den Geist Tschechows zu vereinen: so geschehen bei Verdis „La Traviata“. Die traurige Geschichte der Violetta verlegt er eben nicht in eine medienüberflutete oder von Müll zerstörte Gegenwart, er erzählt sie in ihrem immer noch interessierenden historischen Gewand, damit also Glanz und Elend eines nur scheinbar vergangenen Zeitalters heraufbeschwörend. Und greift gerade dadurch unmittelbar ans Herz. Elementares Musiktheater, das nicht eitel hochstapelnd irgendetwas vorgaukelt, sondern höchst authentisch die künstlerische Wahrheit von Verdis Genie bezeugt – wissend, nicht besserwisserisch. Das – und nur das – ist die wahre Sensation. Übrigens: Die Sängerinnen und Sänger haben in den Operninszenierungen der Herrmanns immer großen Erfolg, weil sie musikalisch agieren können. Vielleicht ist in Herrmanns ästhetisch-philosophischem System die Oper als Kunstform das Höchste. Und dennoch – welch Wunder! – Karl-Ernst Herrmann ist dem Schauspiel nicht abtrünnig geworden und unterrichtete obendrein – zusammen mit Ursel Herrmann – 8 Jahre als Professor die Bühnenbildklasse an der Akademie der Künste in München. Wie wichtig eine kompetente Ausbildung ist, weiß Herrmann, er hatte selbst ein grundsolides Studium hinter sich gebracht, bevor er anfing; er weiß zu gut, daß genaue Kenntnisse Voraussetzung für künstlerische Arbeit sind, aber die Wurzeln, mit denen er die Nahrung seiner Phantasie anzieht – diese Wurzeln bleiben doch sein Geheimnis. Ich erinnere mich noch immer sehr deutlich, wie er, angeregt von Peymanns und meinen eher beiläufigen Schilderungen unseres Besuchs des Lessinghauses zu Wolfenbüttel, sein Bühnenbild zu „Nathan der Weise“ erfunden hat, das vollendeter und überzeugender nicht hätte sein können. Die Bochumer Aufführung hatte in mehrerlei Hinsicht Schule gemacht.
Große Klassiker („Prinz von Homburg“, „Torquato Tasso“, „Peer Gynt“, „Wintermärchen“, „Kirschgarten“, „Orestie“, „Othello“ oder „Clavigo“) und unzählige wichtige Uraufführungen (demnächst das neueste Stück von Botho Strauß, „Schändung“, am Berliner Ensemble) – Karl-Ernst Herrmann schuf prägende Bilder und Zeichen für eine ganze Epoche – mit einer Überfülle an theatralischer Phantasie hat er uns beschenkt, unendlich reich beschenkt. Hermetische Guckkastenbühne, aufgebrochene Guckkastenbühne, variable Raumbühne, totale Raumbühne – das Repertoire seiner Möglichkeiten ist unerschöpflich und er handhabt dieses Repertoire virtuos. Alle seine Stücke aufzuzählen und vor allem zu beschreiben, wie er sie gestaltet hat, ergäbe sicher einen spannenden Schauspielführer, mindestens ebenso dick wie der Reclam-Schauspielführer. Seine Arbeit ist Theatergeschichte, ja, große Theatergeschichte. Und sie geht in die Zukunft, weil er „rauszukieken“ vermag.
Karl-Ernst Herrmann ist für mich die glückhafte Personifizierung der absoluten Theaterleidenschaft. Sein Sohn Oliver hat als Fotograf und Filmregisseur diese Leidenschaft eigenwillig, eigenständig und voll schönster Hoffnungen weitergeführt und verwandelt. Olivers plötzlicher Tod im September 2003 ist für Ursel und Karl-Ernst Herrmann die tiefste, schmerzlichste Prüfung gewesen. Ich hoffe, die Theaterarbeit vermag Trost zu geben. Deswegen wünsche ich Karl-Ernst Herrmann weiterhin seine unbändige Lust, die Theatermaschinen und die Prospekte zu bewegen, das große und das kleine Himmelslicht zu gebrauchen und obendrein – in Farben – alle Gesänge anzustimmen, damit das Universum klingt und leuchtet.Lieber Karl-Ernst Herrmann!
Verehrte Damen! Verehrte Herren!Es ist für mich eine Freude, hier auf der Bühne des Gießener Stadttheaters zu stehen, der ich die ersten Theatereindrücke meiner Kindheit verdanke. Ich erinnere mich an Aufführungen wie „Wilhelm Tell“, „Don Carlos“, „Tagebuch der Anne Frank“, „Così fan tutte“ oder an drei hinreißende Jacques-Offenbach-Einakter. Und ich erinnere mich, wie ich mir meine Eindrücke aufmalte, wie ich selbst immer ganz andere Bühnenbilder erfinden wollte, die aber dann doch stets nur so wurden, wie ich sie in Gießen gesehen hatte.
Es ist mir auch eine besondere Freude, unter dem Namen von Hein Heckroth zu sprechen, der mir in meinen Theateranfängen vor vierzig Jahren an den Städtischen Bühnen Frankfurt am Main tatsächlich als erster Bühnenbildner begegnet ist und mit dem zusammen ich mein allererstes Programmheft gestalten durfte, es war ein Malbuch zu „Peterchens Mondfahrt“, einst das beliebte Weihnachtsmärchen vieler Bühnen – Karl-Ernst Herrmann hat dieses Stück fast zeitgleich in Bremen gemacht. Ich habe Hein Heckroth als einen Künstler erlebt, dessen heitere Gelassenheit einem noch ahnungslosen Anfänger großzügig Vertrauen schenkte, nicht unähnlich diesem Karl-Ernst Herrmann, dem ich 10 Jahre später begegnet bin.
Es ist also eine große Freude und eine große Ehre für mich, und gewiß für uns alle, diesen wunderbaren, einzigartigen Karl-Ernst Herrmann zu preisen!
Anna Markard
Choreografin, Tochter von Kurt Jooss
Hein Heckroth und Kurt Jooss
Heckroth und Jooss sind beide 1901 geboren und waren 23 Jahre alt, als sie von dem Intendanten Niedecken-Gebhard für sein neu zu gründendes Ensemble an das Stadttheater Münster engagiert wurden.
Dies war für Heckroth und Jooss der erste Schritt in die Professionalität, aber auch der Beginn einer außergewöhnlich fruchtbaren Zusammenarbeit.
Heckroth, so scheint es mir, hat während der 3 Jahre am Münsteraner Theater fast alle Stücke ausgestattet, und so war er natürlich auch für die Choreographien von Jooss mit der „Neuen Tanzbühne“ verantwortlich. Sie waren auch beide alljährlich an den Händel-Festspielen in Göttingen beteiligt.
Ab 1927 ging die Zusammenarbeit in Essen weiter, Heckroth wurde zunächst künstlerischer Beirat der Städtischen Bühnen und Jooss wurde Mitbegründer der Folkwangschule, aber auch danach waren beide wieder zusammen am Theater. Heckroth (als Nachfolger von Caspar Neher) wurde Ausstattungsleiter und Jooss Ballettmeister und Leiter der Folkwang-Tanzbühne.
Als Jooss 1932 die Einladung erhält, sich am Wettbewerb in Paris - dem Concours Chorégraühique des Archives Internationales de la Dance – zu beteiligen, wendet er sich an Heckroth und an den Komponisten Fritz a. Cohen (mit dem er in Münster bereits eine Anzahl Ballette entwickelt hatte) und schlägt beiden eine Zusammenarbeit vor.
Das neue Stück „Der Grüne Tisch“ (das in knapp 6 Wochen entstehen musste) wird beim Wettbewerb uraufgeführt und gewinnt den 1. Preis. Buchstäblich über Nacht beginnt für das Autoren-Team Jooss, Cohen, Heckroth eine internationale Karriere.
Zunächst als Folkwang-Tanzbühne und sehr bald als Ballets Jooss werden sie Gastspiele in aller Welt geben. „Der grüne Tisch“ wird zu Beginn des Dritten Reiches, wegen des enormen Erfolges hoch geschätzt, nur der jüdische Cohen und 3 jüdische Tänzer sind unerwünscht. Jooss wird nahegelegt, sich von seinen jüdischen Kollegen zu trennen, er lehnt aber empört ab und wird dadurch selber zur „Unerwünschten Person“.
Eine schnell arrangierte Flucht gelingt. Jooss und das ganze Ensemble verlassen 1933 Deutschland bei Nacht und Nebenl! Heckroth ist dabei, zunächst als Techniker (verantwortlich u.a. für die Beleuchtung), aber später wird er offiziell als „Directeur de la scène“ geführt. Die Ballets Jooss gastieren zunächst in Holland, Belgien, der Schweiz, Paris und London und schon Ende 1933 spielen sie 6 Wochen im Forst Theater in New York.
Heckroth und Jooss sind nun beide emigriert und heimatlos. Heckroths Frau Ada ist Jüdin und ist mit der kleinen Nandi vorübergehend bei Freunden in Paris. Heckroth und Jooss finden in England eine neue Bleibe. Dartington Hall, ein Landgut in South Devon, von den Mäzenen Dorothy und Leonard Elmhirst zu einem kulturellen Zentrum ausgebaut, wird bis Kriegsausbruch die Basis ihres Lebens und der weiteren Zusammenarbeit. Groteskerweise werden beide 1940 als „Feindliche Ausländer“ in England interniert, Heckroth sogar nach Australien deportiert! Nach der Entlassung, aber noch mitten im Krieg, geht die Zusammenarbeit dennoch weiter - diesmal in Cambridge.
Bis 1945 haben Heckroth und Jooss insgesamt mindestens 40 Ballette zusammen créiert. Später werden sie nur noch einmal, wiederum an den Essener Bühnen, bei Strawinskys Persephone gemeinsam arbeiten. Zu diesem Anlass wird 1965 eine Heckroth-Ausstellung von dem Folkwang Museum arrangiert.
Hier möchte ich den biographischen Teil meiner Ausführungen beenden - aber doch noch einiges zur Entstehung und zur Aufführungspraxis des Ballettes „Der Grüne Tisch“ addieren.
An den Essener Bühnen gab es 1932 hervorragende Werkstätten - sowohl in der Schneiderei als auch bei den Maskenbildnern waren außergewöhnlich begabte Vorstände.
Heckroth konnte sich auf sie verlassen. Er brauchte nur anzuregen und später Korrektur zu geben. Für den Grünen Tisch hat er weder Kostüm - noch Masken-Entwürfe zeichnen müssen; alles wurde sozusagen „live“ ausprobiert und angefertigt.
Als Anregung für die Masken brachte er einen Daumier Band in die Werkstatt. Er arbeitete selbster mit bis zum befriedigenden Resultat.
Für die Pariser Uraufführung bemalte er einen Rupfenaushang mit schwarzen Strukturen. Dieser wurde allerdings aus tourneetechnischen Gründen sehr bald gegen einen schwarzen Samtaushang ausgewechselt.
Die Masken wurden zwei Mal modifiziert (wieder in Anlehnung an Daumier). 1935 durch den Bildhauer Willy Soukp in Dartington und 1962 in den Essener Werkstätten unter Mitarbeit meines Mannes, Hermann Markard.
2 Jahre später hatte Heckroth am Staatstheater München Gelegenheit, die Produktion - die ja ursprünglich ohne gezeichnete Entwürfe entstanden war - persönlich zu überprüfen, wobei er auch die neuen Essener Masken integrierte. Er entwarf außerdem für die erste und letzte Szene einen Rückprospekt, der allerdings, wie schon 1932 - aus tourneetechnischen Gründen nicht weiter verwendet wurde. Dieser Entwurf befindet sich jetzt in der Theaterwissenschaftlichen Sammlung an der Universität zu Köln.
Noch einige Sätze zu den Kostümen:
Der „grüne Tisch“ ist möglicherweise das einzige Stück im internationalen Repertoire, das seit über 70 Jahren ununterbrochen auf der Bühne mit nur einer - der ursprünglichen - Version der Kostüme zu sehen ist. Diese Kostüme - verblüffend schlicht, sind genial-raffiniert und werden immer und immer wieder gleich hergestellt.
Sie dienen der Choreographie und den rasend schnellen Umzügen und sie sind tatsächlich nach wie vor aus den gleichen Materialien von damals - buichstäblich bis zum letzten Druckknopf!
Bei den vielen Produktionen, die inzwischen stattfanden, wurden so oft modernere Lösungen vorgeschlagen, letztlich aber umsonst, die Urform und Technik, die Heckroth und seine Mitarbeiter damals gefunden haben, sind bis heute exemplarisch.